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Schwarz-blauer Regierungsdeal: eine Lose-Lose-Situation

Ein Nein zum UN-Migrationspakt gegen die Abschaffung der Notstandshilfe

Anfang November ging die Meldung über ein spezielles Tauschgeschäft innerhalb der schwarz-blauen Koalition durch die Medien: Die Ablehnung des UN-Migrationspaktes durch die ÖVP soll es im Austausch dafür gegeben haben, dass die FPÖ ihren Widerstand gegen die Abschaffung der Notstandshilfe fallen lässt. Ein Anlass, einen genaueren Blick auf beide Themen zu werfen.
Die FPÖ, die nun quer durch den Boulevard und in ihren rechtsextremen Hausmedien stolz inseriert, den UN-Migrationspakt verhindert zu haben, arbeitet damit auf Zuruf rechtsextremer Gruppierungen, die im Migrationspakt eine globale Verschwörung ausmachen, die die nationale Souveränität Österreichs zu untergraben drohe. Sebastian Kurz selbst hat als Außenminister an der Aushandlung mitgearbeitet, die derzeitige Außenministerin Karin Kneissl hat sich bis zuletzt für die Zustimmung Österreichs zum Migrationspakt eingesetzt.

Die drohende Abschaffung der Notstandshilfe und die Einführung eines Systems à la Hartz IV wiederum ist ein Thema, das die FPÖ als selbsternannte Partei „des kleinen Mannes“ gegenüber ihrer eigenen Klientel nur schwer verteidigen kann und darauf angesprochen ins Strudeln gerät.

Bei beiden Themen geht es um die Sicherung von Grundrechten, eines Existenzminimums; kurz: eines menschenwürdigen Lebens, das die Regierungsparteien nicht allen in der Gesellschaft zugestehen wollen. Beide Fälle zeigen, wie stark jene, die mit dieser Politik nicht einverstanden sind, in die Defensive gedrängt sind. Mit beiden Themen macht sich die Regierung aber auch angreifbar und Konfliktfelder in den eigenen Reihen auf – so könnten wir es jedenfalls sehen.

Zum Migrationspakt

Der UN-Migrationspakt bedeutet zunächst vor allem eine – rechtlich nicht bindende – Absichtserklärung der UN-Mitgliedsstaaten, in Fragen von Flucht, Migration und internationaler Mobilität auch international zusammenzuarbeiten. Damit sollen der Realität von Migrationsbewegungen Rechnung getragen werden, die Grundrechte und eine menschenwürdige Behandlung von Migrant_innen gesichert und diese vor Ausbeutung und Gewalt geschützt werden. Migration wird im Dokument als wesentliches Charakteristikum einer globalisierten Welt und als Quelle von Wohlstand, Innovation und nachhaltiger Entwicklung benannt. Noch im Dezember 2017 stimmten 192 von 193 Mitgliedsstaaten – alle bis auf die USA – dem Pakt zu. Im Frühjahr kündigte dann Ungarn an, den Migrationspakt nicht mittragen zu wollen, im Oktober verkündete schließlich die österreichische Regierung ihren Ausstieg. Schwarz-Blau stellt sich damit in eine Reihe mit Donald Trump und Viktor Orbán.

Heinz-Christian Strache spricht konsequent – und fälschlicherweise – von einem „Vertrag“, den die österreichische Regierung nicht „unterschreiben“ werde. Er fabuliert von der drohenden Gefahr, dass sich daraus ein „Gewohnheitsrecht“, ein „Menschenrecht auf Migration“ entwickeln könne. Wie die AfD oder die Identitären trägt die FPÖ damit die Erzählung einer globalen Verschwörung und von Geheimplänen mit, von unterschwellig sich einschleichenden Rechten für Migrant_innen.

Sebastian Kurz wiederum erklärt die Ablehnung des Pakts damit, dass nicht ausreichend zwischen Flüchtlingen und Migrant_innen unterschieden werde. Eine Differenzierung, mit der es ÖVP und FPÖ in ihrer Hetze ja bekanntlich besonders genau nehmen (Stichwort „Wirtschaftsflüchtlinge“).

Auf rechtlicher Ebene sieht der Pakt kaum Neuerungen vor, sondern unterstreicht die Gültigkeit einer Reihe bereits bestehender Dokumente wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder der UN-Konvention zum Schutz vor Menschenhandel und Sklaverei und enthält ausdrücklich eine Erklärung zum Klimawandel als Ursache von Migrationsbewegungen. Der Pakt ist damit ein Bekenntnis zur Wahrung der Menschenrechte und zur Seenotrettung.

Die Debatte über Migration solle auf Basis nachweisbarer Fakten geführt und „irreführende Narrative“ zerstreut werden, die eine negative Wahrnehmung von Migrant_innen fördern. Ausdrücklich spricht sich die Erklärung gegen Freiheitsentzug in Zusammenhang mit Migration aus und fordert deshalb ein unabhängiges Monitoring der staatlichen Migrationsregime. Bereiche, in denen in Österreich vieles problematisch läuft, wie uns das jüngste Beispiel einer mit Stacheldraht gesicherten Unterkunft für minderjährige Asylwerber_innen in Drasenhofen einmal mehr in Erinnerung ruft.

Dabei greift der Pakt weder die „nationale Souveränität“ an, wie es die FPÖ behauptet – diese ist sogar ausdrücklich eines der Leitprinzipien des Papiers –, noch die Grenzregime und die Abschottungspraxis etwa der EU.

Abschaffung der Notstandshilfe

Wenn es in öffentlichen Debatten um die drohende Abschaffung der Notstandshilfe und um den Zugriff auf Erspartes, Haus oder Wohnung geht, windet sich die FPÖ. Als Sozialministerin Hartinger-Klein Anfang des Jahres im ZIB-Interview mehrfach betonte, einen Vermögenszugriff werde es sicher nicht geben, wurde sie umgehend von Kanzler Kurz zurechtgewiesen: Ein Vermögenszugriff bei längerer Arbeitslosigkeit sei „natürlich legitim“.

Die Abschaffung der Notstandshilfe findet sich im schwarz-blauen Regierungsprogramm wieder als „Harmonisierung, Neuausrichtung und Weiterentwicklung von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Bedarfsorientierter Mindestsicherung“ und in Form der „Integration der Notstandshilfe“ in das Arbeitslosengeld NEU, das degressiv gestaltet und zeitlich begrenzt (!) werden soll. Die Betroffenen rutschen damit in die Mindestsicherung, für die strengere Kriterien gelten. Erst seit Juli 2018 wird das Partner_inneneinkommen nicht mehr auf die Notstandshilfe angerechnet. Die SPÖ hatte diese Regelung nach dem Zerfall der rot-schwarzen Koalition gegen den Widerstand von ÖVP und NEOS, mit Unterstützung der Grünen und der FPÖ umgesetzt. Eine Abschaffung der Notstandshilfe und ein Abdrängen von Menschen in die Mindestsicherung bedeutet ein restriktiveres System als Hartz IV, das besonders das Problem der Altersarmut zu verschärfen droht. Anders als in der Notstandshilfe werden in der Mindestsicherung keine Pensionszeiten gesammelt, bei längerer Arbeitslosigkeit müssen Erspartes aufgelöst und die Wohnung verkauft werden, um Leistungen beziehen zu können. Besonders betroffen wäre die Gruppe der Erwerbsarbeitslosen über 50, in der es überproportional viele Notstandshilfebezieher_innen gibt.

Am 28. November präsentierte die Regierung nun stolz die Neuregelung der Mindestsicherung, also umfassende Kürzungen bei Kindern und Menschen mit geringen Deutschkenntnissen als großen Wurf. Zynisch wird die Einsparung von 40 Mio. Euro bei den ärmsten 3 % der Bevölkerung als „Arbeitsanreiz“ bezeichnet. Anders als eine Bestrafung von Armutsbetroffenen und als rassistische Spaltungspolitik kann die neue Regelung nicht betrachtet werden. Wo vorher ein Rechtsanspruch bestand, soll jetzt ein „Bonus“ erworben werden.

Da erst kürzlich und wie zu erwarten die oberösterreichische Regelung, subsidiär Schutzberechtigten und Asylberechtigten mit befristetem Aufenthaltsstatus eine deutlich niedrigere Mindestsicherung auszubezahlen, vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) gekippt wurde, hat die Regierung mit einer neuen kreativen Lösung für ihre menschenverachtende Politik vorgebaut und knüpft die Geldleistungen an Pflichtschulabschluss und gute Deutschkenntnisse (Niveau B1).

Die Neugestaltung des Arbeitslosengeldes wurde ins neue Jahr verschoben, die Abschaffung der Notstandshilfe sei „SPÖ-Propaganda“ und Angstmache, so die FPÖ. Mit der neuen Regelung, dass eine Sicherstellung im Grundbuch von Haus oder Wohnung erst nach 3 Jahren (bisher nach 6 Monaten) erfolgt, versucht sich die FPÖ nun als Verteidigerin der fleißigen österreichischen Sparer_innen und Häuslbauer_innen zu präsentieren. Dass der Arbeitslosengeldbezug zeitlich begrenzt werden soll, dementiert die FPÖ nicht, sagt aber, wer „länger ins System eingezahlt“ habe, müsse sich keine Sorgen machen. Genauere Informationen zur künftigen Vereinbarkeit von Eigentum und Mindestsicherung stehen noch aus.

„Wir arbeiten, wir streiten nicht“

In beinahe jeder öffentlichen Stellungnahme demonstrieren die schwarz-blauen Regierungsvertreter_innen Einigkeit und Harmonie in der Koalition. Neben einem autoritären Führerprinzip und einem soliden rassistischen Grundkonsens als Fundamente ihrer Zusammenarbeit, dienen Phrasen à la „Wir arbeiten, wir streiten nicht“ der Abgrenzung zu rot-schwarzen Vorgängerregierungen. Jeder Konflikt muss unterdrückt werden, ein personeller Rücktritt wäre gar ein tiefer Riss im schwarz-blauen Harmoniegebäude. Ein Regierungsprogramm wurde beschlossen, das gelte es jetzt abzuarbeiten, heißt es. Und genau deshalb ist die Abschaffung der Notstandshilfe sicher noch nicht vom Tisch – auch wenn die FPÖ noch so ungern darauf angesprochen wird.