MALMOE

matz*city

Wir sind ein kleiner Haufen von Aktivist_innen, Künstler_innen und Anwohner_innen. Seit vielen Jahren setzen wir uns mit dem Matzleinsdorferplatz und seiner näheren Umgebung auseinander. Uns eint eine komplizierte Liebe zum Platz, der Wunsch nach einer anderen Stadt- und Verkehrspolitik und das Interesse an einem offenen Platz. Wir haben vor Ort Ausstellungen, Lesungen, Workshops, Partys und Feuerwerke gemacht. Gemüse, Blumen und Disteln gepflanzt. Kompott und Kuchen serviert. In Archiven recherchiert und mit ehemaligen Bauarbeitern gesprochen. Der Platz ist voll mit Geschichte/n.

Lange hat sich niemand für den Ort interessiert, und niemanden kümmerte, was wir dort aufführten. Nicht-Ort und Un-Ort sei der Platz. So die dominante Erzählung. Ein hässlicher Platz, ein „ästhetischer Super-GAU“. Schlagwörter, die eine differenzierte Sicht auf den Ort verstellten. Wir haben feine Fäden gesponnen und eine Besetzung des Platzes im Schneckentempo vollzogen.

Der Matzleinsdorferplatz ist ein Monument der autozentrierten Stadtplanung und einer fordistischen Nachkriegsordnung. Von Männern geplant, für ein patriarchales Umfeld erdacht. Das Verkehrsbauwerk und die benachbarte Wohnsiedlung der 1950er und 1960er Jahre: ein Vorzeigeprojekt, ein „Geschenk der Stadt Wien“.

Allerdings kippten spätestens in den 1980er und 1990er Jahren mit dem steigenden motorisierten Verkehr und dem Siegeszug der neoliberalen Doktrin die ordnungspolitischen Versprechen von Modernität, Sicherheit und Sauberkeit, die mit dem Platz assoziiert waren, in das Gegenteil: Fliesen und Verkehrshölle.

Es stimmt nicht ganz, dass niemand am Platz Veränderungen vorgenommen hätte oder kein Leben am Platz stattfindet. Es gibt Geschäftslokale, eine Kirche mit Friedhof, ein Hotel und Wohnhäuser. Der Platz bietet außerdem Nischen für Leute, die anderswo keine Bleibe finden. Gstättn, Freiflächen und Durchgänge waren und sind bewohnt, auf der Triester Straße warten illegalisierte Tagelöhner darauf, ein paar Euro verdienen zu können. ÖBB, Wiener Linien und die Bezirksvertretungen haben in den zurückliegenden Jahren Bäume, Sträucher und Grünflächen entfernt, ein Café mit Gastgarten geschliffen, Passagen und die öffentliche Toilettenanlage geschlossen und dafür Zäune, Reklametafeln und Sperren aufgepflanzt.

Die Rede vom Nicht-Ort beraubt den Matzleinsdorferplatz nicht nur seiner Geschichte/n, sondern ermöglicht den potentiellen Investor_innen eine allzu bequeme Aneignung. Denn wer könnte an so einem Ort gegen Aufwertung – eine „Verschönerung“ – argumentieren. Aber genau das ist notwendig! Aufwertung ist niemals eine Win-Win-Situation, sondern ist verknüpft mit Vertreibung und Verdrängung von finanzschwachen Nutzer_innen. Aufwertung und Abwertung gehen Hand in Hand. Aus diesem Grund ist es entscheidend, die Geschichte/n des Matzleinsdorferplatzes zu kennen und zu diskutieren.

In den nächsten Jahren kommt die U-Bahn zum Matzleinsdorferplatz. Das macht den Platz für Planer_innen und Investor_innen sehr interessant. Sie beginnen eigene Geschichte/n zu entwickeln: Ein Tor zur Stadt soll der Matzleinsdorferplatz werden, ein attraktiver Verkehrsknoten, hell und freundlich. Die U-Bahn wird nicht durch privates Kapital finanziert, doch private Firmen tragen den Profit davon. Ein Geschenk der Stadt an die sogenannten Geldgeber.

Das Feuerwerkshäuschen – Zentrum unserer experimentellen Auseinandersetzung am Platz – droht nun demoliert zu werden, wenn wir den Abriss nicht stoppen. Es ist zu befürchten, dass sich der Platz als weiterer überwachter Verkehrsknoten mit Shopping-Mall in eine lange Reihe von ähnlichen Projekten in Wien einreiht. Gleichzeitig soll der horrende Autoverkehr am Platz unverändert bleiben.

Überwachung und Hausordnungen stehen im Widerspruch zu einer offenen Gesellschaft. Die Dauerpräsenz bewaffneter Polizeieinheiten und Securities, die selektive Anhaltung und Vertreibung von unerwünschten Personen, all das trägt zur Aushebelung von Grundrechten und zur Beseitigung von öffentlichen Räumen bei. Geht es darum die Spuren von Armut, die ambivalenten Momente des kapitalistischen Gesellschaftsmodells, einfach zu beseitigen? Oder dienen die Verkehrsorte gezielt dazu, Menschen ohne Aufenthaltstitel aufzugreifen und abzuschieben? Wer profitiert von dieser Politik? Es wäre höchst an der Zeit eine Politik der Kommerzialisierung, sowie eine autoritär ausgerichtete Ordnungspolitik, von der letztlich nur wenige profitieren, zu überdenken.

Unsere Initiative diskutiert den Platz als „Geschichtsbaustelle Matzleinsdorferplatz“ (Baue, wo du stehst!), einem Ort, an dem reflexive Geschichte/n und historische Formen flirrend in der Luft stehen. Ein ständiges Graben und Bauen – von unten! Im ehemaligen Feuerwerksgeschäft wollen wir ein Museum errichten. Es soll ein Ort sein für kritisches Denken, ein Ort für das Spinnen von Stadt-Geschichte/n und spekulativer Verkehrstheorien.

Wir träumen von einem offenen Platz mit Plattformen, Brücken, Stiegen und Stegen, Verkehrstürmen oder Pavillons. Mit aufregenden Verkehrsinseln, rankenden Pflanzen, blühenden Disteln, unüblichen Spielplätzen und mit gelungener sozialer Infrastruktur, wie Wärmestuben, einem weitläufigen Erholungsgebiet, inklusive Skulpturenpark.

Der Matzleinsdorferplatz ist eine Metapher, ein Sprungbrett, ein Experimentierfeld, ein phantastisches Planungsgebiet.

Wir ersuchen alle, die an eine demokratische, soziale und offene Stadt, an aufregende Verkehrsplätze glauben und dafür einstehen, mit uns weiter an Fäden, Methoden und an spekulativen Hirngespinsten zu knüpfen.

http://matzleinsdorferplatz.at