MALMOE

Alleinerziehend – eine Armutsfalle

Die aktuelle Lage, mit Kindern allein zu leben, ist fatal: beschissene Gesetze zu Unterhalt, die dazu führen, dass viele Alleinerziehende keinen, unregelmäßigen und/oder viel zu niedrigen Unterhalt bekommen; unzureichende soziale Transferleistungen, von denen viele abhängig sind, aber trotzdem ausgeschlossen werden; erhöhte monatliche Ausgaben für Miete für größere Wohnungen, zusätzliche Lebensmittel, Kindergarten und Schule, Nachmittagsprogramme, Kurse und Freizeitaktivitäten; hinzu kommt eine Teuerungswelle, die das wenige Geld noch weniger werden lässt. Die ständige Sorge um das Geld ist eingebettet in einen stressigen Alltag, der zwischen Lohnarbeit, Care- und Reproduktionsarbeit oszilliert – manchmal begleitet von belastenden Unterhalts- und Sorgerechtskonflikten mit dem anderen Elternteil. Die ganze Arbeit führt jedoch nicht zu einem angemessenen Einkommen, welches das Leben von Alleinerziehenden und ihren Kindern sichert, sondern zu Ausbeutung pur. COVID-19 hat die Situation durch Kinderbetreuung, Home Schooling, Home Office, Wegfallen von Unterstützungsnetzwerken bekannterweise noch zusätzlich verschärft. Die Armutsgefährdung von Alleinerziehenden ist auf 50 Prozent gestiegen. Alleinerziehende sind über den Rand ihrer Belastungsgrenzen hinausgeschossen worden.

Dieser Ausschluss an Teilhabe gekoppelt mit Mangel an Geld und freier Zeit macht viele Alleinerziehende krank, psychisch wie physisch. Die gesundheitlichen Effekte, die ökonomische Situation, der fehlende Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen, gegen die politisch nicht vorgegangen wird, trotz vorliegender Studien und dem gesellschaftlichen Wissen über die Auswirkungen auf Alleinerziehende, zeugen von struktureller Gewalt – eine Gewalt ohne Täter und Betroffene, die ökonomisch und sozial handlungsunfähig gemacht werden. Auf politischer wie gesellschaftlicher Ebene fühlt sich kaum jemand verantwortlich. Im Gegenteil, Betroffene werden als Individuen für ihre missliche Lage selbst verantwortlich gemacht, indem sie diese tagtäglich selbst lösen sollen.

Treffen kann es grundsätzlich jede Person, insbesondere jede Gebärfähige: frau wird gewollt oder ungewollt schwanger, entscheidet sich für das Kind, basierend auf zutreffenden oder nicht zutreffenden Annahmen, wie sich die Zukunft mit Kind gestalten wird, und zieht dann das Kind, erwarteter- oder unerwarteterweise, allein groß.
Die strukturelle Gewalt gegen Alleinerziehende ist dermaßen groß, dass Frauen dysfunktionale Beziehungen oder gar Gewaltbeziehungen ertragen, aus Angst vor den Auswirkungen, die ein Leben als Alleinerziehende mit sich bringt: Armut, Erschöpfung, Überlastung, fehlende Freiräume für sich selbst, soziale Isolation, zu teurer und kleiner Wohnraum, psychische und physische Erkrankungen. Das heißt, in Extremfällen wird Partnergewalt dieser Form der strukturellen Gewalt untergeordnet. Die Gefahr, strukturelle Missstände zu benennen, ist uns bewusst; nämlich die ohnehin abschreckende Wirkung, den Weg als Ein-Eltern-Familie zu wagen, doch wir müssen trotzdem darüber reden: Über die beschissenen Gesetze, die Überlastungen und das gesellschaftliche Alleingelassenwerden.

Alleine gegen das Patriarchat?

Alleinerziehende kennen die unzähligen Stigmatisierungen im Alltag, in den Ämtern, auf der Arbeit, in Bildungseinrichtungen. Man wird ständig ins Bittstellen gedrängt. Beschämung, Ausschlüsse und Rechtfertigungen sind Teil des Alltags von Alleinerziehenden, den sie sich selbst so nicht ausgesucht haben. Ein kurzer Blick zurück macht deutlich, wie lang die Geschichte der Entrechtung für Alleinerzieherinnen in Österreich anhielt. Erst im Juni 1989 wurde es Alleinerzieherinnen gesetzlich erlaubt, für ihre eigenen Kinder die Obsorge zu erhalten. Davor ging sie bei Abwesenheit eines Mannes an das Jugendamt. Für Frauen war das Ziel, mit einem Mann zusammen zu sein, damit rechtlich festgeschrieben. Heute erhalten Frauen zwar die Obsorge auch ohne Mann für ihre Kinder – ökonomisch und sozial sind sie als Alleinerziehende aber dermaßen stark benachteiligt, dass sie strukturell weiterhin in die heteronormative, patriarchale Kleinfamilienpaarbeziehung gezwungen werden.

„Gut” sind jene, die passiv ihre Situation ertragen, „ungerechtfertigterweise“ von ihrem Mann verlassen worden oder verwitwet sind und versuchen, trotz Überlastung ihren Alltag mit Fleiß und Leistung zu bewältigen, ohne sich zu beschweren oder Forderungen zu stellen. „Schlechte“ Alleinerziehende, die mit Angriffen und Abwertungen zu rechnen haben, sind jene, die sich bewusst von ihren Partner*innen getrennt haben, Forderungen nach Unterhalt, Kinderbetreuung und sozialen Transferleistungen stellen und sich politisch laut und sichtbar engagieren.

Während die letzte Gruppe medial keine Repräsentation findet, so ist gerade die erste Gruppe zunehmend im medialen und politischen Fokus. Dies geschieht insbesondere im Rahmen eines Opferdiskurses, in dem die Handlungsfähigkeit von Alleinerziehenden ausgeblendet wird und stattdessen über sie statt mit ihnen gesprochen wird. Sie wird zur armen Hilfebedürftigen hochstilisiert, der sich unterschiedliche Parteien oder der Staat dankenswerterweise annehmen (sollen). Mittlerweile haben alle Parteien diese Inszenierung von Mitleid gegenüber Alleinerziehenden ohne Stimme und Handlungsmacht für sich entdeckt. Naiv betrachtet kann nun gesagt werden: ja gut, Hauptsache die Gruppe wird endlich nicht mehr übersehen und übergangen. Doch leider hat noch jede Regierung aufs Neue gezeigt, dass sie keine substanziellen Verbesserungen auf gesetzlicher Seite auf die Beine gestellt hat (Stichwort: Unterhaltsgarantie oder Kindergrundsicherung). Stattdessen gibt es hochgepriesene Projekte wie den sogenannten „Gemeindebau für Alleinerziehende” in der Wolfganggasse in 1120 Wien, wo vorwiegend Zwei-Zimmer-Wohnungen geplant wurden: Frauen dürfen bitte weiter auf dem Sofa in der Wohnküche schlafen.

Seit fünf Jahren existiert der Aufstand der Alleinerziehenden nun schon in Österreich. Er informiert lautstark über die Probleme und Schieflagen, mit denen Alleinerziehende tagtäglich zurechtkommen müssen, und dass Alleinerziehende gut für sich selbst reden können.

Wir kennen unsere Probleme. Wir kennen die dazugehörigen Gesetzeslücken, die Stigmatisierungen, die Ausschlüsse. Dafür braucht es Räume – auch in der Linken(!) –, die so gestaltet sind, dass auch Rund-um-die-Uhr-Reproduktions-Arbeitende ihre Kämpfe, ihre Analysen und ihre Forderungen selbst einbringen können. Die Abwesenheit von Reproduktions-Arbeitenden hat nicht nur etwas mit dem gänzlich grenzüberschreitenden Alltag von Überlastungen zu tun, sondern vor allem mit Ausschlüssen aus gesellschaftlichem Zusammenkommen, mit den räumlichen und zeitlichen Barrieren, mit fehlender Kinderbetreuung und Rücksichtnahme. Die meisten Alleinerziehenden erleben das, was spätestens gesamtgesellschaftlich schmerzlich durch die Lockdowns bewusst wurde: nämlich Isolation, Einsamkeit und gleichbleibend sich wiederholende Arbeit in Endlosschleife – jeden einzelnen Tag im Jahr.

Mehr Infos: Aufstand der Alleinerziehenden