MALMOE

Fragen an die U-Bahn

U1 Stephansplatz, Rushhour, der Bahnsteig voll mit Leuten, die U-Bahn fährt ein. Alle drängen hinein. Durchsage: „Der nächste Zug kommt in zwei Minuten – bitte warten Sie. Die Bahn ist voll!“ Alltag in der Wiener U-Bahn – ein V-Zug im Gespräch.

Ich weiß, Sie sind im Stress, schließlich befördern Sie um die 1,2 Millionen Menschen am Tag durch die Stadt. Ich möchte Sie dennoch gern was fragen.

Biiiiiip. Steigen Sie ein.

Gut, jetzt bin ich drinnen. „Der Zug ist voll“ – wie voll sind Sie denn wirklich? Ich dachte, es herrscht Alkoholverbot hier?

Scherzkeks! Daran hält sich doch keine_r – es kotzt mich an, wie angekotzt ich nach jedem Wochenende bin.

Im Ernst: Ist bei Ihnen immer so viel los?

Nun ja, Sie befinden sich gerade auf der am meisten befahrenen Teilstrecke zwischen Stephansplatz und Karlsplatz. Es gibt schon ruhigere Abschnitte. Zwischen Schottentor und Schottenring zum Beispiel fahren um 90 % weniger Menschen. Insgesamt fahren in allen U-Bahnen täglich um die 1,2 Millionen Leute.

Wie nennen Sie Ihre Mitfahrenden – ­Nutzer_innen? Konsument_innen? Passagier_innen?

Störenfriede!

Wie viele Kilometer am Tag fahren Sie eigentlich, also Sie persönlich, Zug ­Nummer 42?

Gute 41.000 km schaffen wir am Tag im Schnitt gemeinsam. Ich persönlich hier bei der U1 komme alleine auf knappe 500 km. Wir von der U1 befahren ja die längste U-Bahn-Linie: 19,2 km sind’s von Oberlaa nach Leopoldau. Ich fahr also rund 26 Mal hin und her. A Wahnsinn ist des, Sie sehen, für mich ist der 12-Stunden-Tag nichts Neues. Ich bin nur froh, dass, egal auf welcher Linie ich gerade im Einsatz bin, es immer auch überirdische Teilstrecken gibt. So sehe ich zumindest ein bisserl ein Tageslicht.

Und wenn Sie mal krank … äh: kaputt werden?

Dann komme ich nach Simmering in die Hauptwerkstätte der Wiener Linien. Da gibt es die größte Werkshalle überhaupt in Wien, so groß wie zwölf Fußballfelder. Da muss ich auch einmal im Jahr hin zur Gesundheitsvorsorge, bei uns auch „Wiederkehrende Überprüfung“ genannt. Da ist man nie allein.

Wie lang ist Ihr ganzes Netz?

Knappe 84 Kilometer lang ist mein Netz. Die gesamte Gleislänge umfasst rund 253 Kilometer – da sind ja immer beide Richtungen und auch die Ausweichgleise und so mit dabei.

Seit 1. September 2018 gilt in der U6 ein Essverbot. Riecht es dort seitdem besser?

Die verbesserte Duftnote liegt aktuell eher daran, dass es Winter ist und die Menschen in mir nicht so schwitzen. Dieser Sommer war eine Katastrophe. Nicht wegen der Kebabs und Leberkäs-Semmerl, sondern wegen der Hitze. Und noch schlimmer: Diejenigen, die glauben, ihren Gestank mit Deo oder Parfum überdünken zu können.
Ich finde das Essverbot schade – am Ende des Tages lagen früher immer Fleisch-, Nudel- und Pizzareste herum, an denen ich mich laben konnte. Jetzt bleibt nur der wirkliche Müll für mich über. Der wird ja deshalb nicht weniger.

Apropos Hitze: in manchen Waggons erfriert man, in anderen steht die Luft. Sind Sie jetzt klimatisiert oder nicht?

Ich bin ja viele, habe um die 800 Fahrzeuge. Die älteren Modelle U, U1 und U2, der neue V und ab 2020 der X-Wagen. Die V-Züge sind allesamt klimatisiert, die alten Silberpfeile nicht. Bei der U6 fahren ja sowieso andere Züge, die T-Linie. Die Innenräume sind hier nur bei den neueren Generationen klimatisiert.

Der Aufenthalt in Ihren Räumlichkeiten wird immer ungemütlicher: Bettelverbote, kaum lange Bänke mehr, wo man sich, kürzer oder länger, ausrasten kann, überall Kameras, kein Essen mehr auf allen U-Bahn-Linien ab 15. Jänner 2019. Wohin führt das?

Zu einem respektvollen Miteinander natürlich! Zu einem klinischen Nicht-Raum, wo alle wie ferngesteuert die Bahn betreten und wieder verlassen und die sozial Schwachen keinen Platz mehr haben. Gut so! Ich bin ja kein Sozialverein! 6000 Kameras schauen, dass mir nichts passiert. Es ist zwar erwiesen, dass das nichts hilft, um Verbrechen zu verhindern oder aufzuklären, aber immerhin fühlen sich alle verfolgt. Zu Recht. Vor allem um die Schwächsten der Schwächsten geht es da – die betteln oder in mir schlafen wollen. Die sollen draußen bleiben. Oder die Straßenbahn nehmen – die ist da liberaler.

Alles klar. Danke für das Gespräch!

Biiiiiiip.