MALMOE

Arbeit, du altes Biest

Eine wohltemperierte Polemik gegen den Fetisch „Arbeit“

Zwei aktuelle Studien von links gelesen, lassen Hoffnung bei all jenen aufkommen, die Lohnarbeit als eines der zentralen Übelstände des Kapitalismus identifiziert haben. 150 Jahre nach Erscheinen von Marx‘ Kapital Band 1 lässt sich nicht verleugnen, dass damals wie heute einer gesellschaftliche Produktionsweise eine private Aneignung des Mehrwerts gegenüber steht.

Gallup untersucht seit 2001 in 155 Staaten im sogenannten „Engagement Index“ die Bindung der arbeitenden Menschen an ihr jeweiliges Unternehmen. Gratis zugänglich machen sie nur die Ergebnisse der reichen Industriestaaten. Das doch erstaunliche Ergebnis für Österreich: nur 12 % haben eine hohe emotionale Bindung an ihren Job, 70 % eine geringe Bindung und 18 % (BRD: 15 %, Italien: 30 %!!) haben innerlich schon gekündigt. Jene 18 % werden so beschrieben:

„Innere Kündiger arbeiten nicht nur mit angezogener Handbremse, sondern legen auch Verhaltensweisen an den Tag, die bis zum bewussten Schädigen des Arbeitgebers reichen. Sie sind weniger innovativ oder fehlen häufiger.“ Die Studie errechnet für Deutschland einen volkswirtschaftlichen Schaden von 105 Mrd. Euro durch die mangelnde Bindung an ihren Job. Schuld wird falsch agierenden Vorgesetzten gegeben, die wenig wertschätzend Feedback geben, wenig Frei- und Entfaltungsräume zulassen und Verbesserungsvorschläge ignorieren. Was in der Studie nicht abgefragt wird, aber klar durchschimmert: Die Arbeit selbst, die Art, wie Lohnarbeit organisiert wird, die Produkte der Arbeit langweilen die Menschen zunehmend. Dies trifft innerhalb der EU immerhin auf ein Viertel der Beschäftigten zu. Ein politisches Potential, das kaum als solches wahrgenommen wird.

Die zweite Studie, durchgeführt vom Hamburger Institut Splendid Research, befragte in Deutschland wohnende Menschen zum bedingungslosen Grundeinkommen. 58 % sind dafür, 1137 Euro würden sie für angemessen finden, 15 % würden ihren Job aufgeben, falls das Grundeinkommen mindestens 1500 Euro ausmachen würde.

Es wäre kühn zu behaupten, dass die 15 % inneren Emi­grant*innen sich mit denen decken, die ihre Jobs bei Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens aufgeben würden. Es ist aber zweifellos so, dass es eine steigende Zahl von Menschen gibt, die der Lohnarbeit nicht mehr die zentrale identitätsstiftende Bedeutung zuschreiben.

Nick Srnicek und Alex Williams beschäftigen sich in ihrem Buch Die Zukunft erfinden – Postkapitalismus und eine Welt ohne Arbeit mit der Analyse neoliberaler Thinktanks, die auf die 1930er Jahre zurückgehen und sukzessive den Raum des Denkmöglichen einzuschränken versuchen. Als Schlussfolgerung legen sie einer modernen Linken folgende vier Hauptforderungen ans Herz:
1) eine Bejahung und Beschleunigung der Automatisierung, 2) eine radikale Verkürzung der Arbeitszeit, 3) ein bedingungsloses Grundeinkommen und 4) eine systematische Diskreditierung der Lohnarbeit.

Dabei ist es für eine fortschrittliche Perspektive notwendig, diese Forderungen ineinander zu verweben, Automatisierung ohne Demokratisierung fördert etwa die Überwachung, ein zu geringes Grundeinkommen wäre nur eine Lohnsubvention für Unternehmen.

Die Sozialdemokratie verharrt in Rückkehrfantasien in den Fordismus, geht immer noch mit Vollbeschäftigung hausieren, will 20.000 (Zwangs-)jobs für über 50-Jährige als positive Initiative verteidigen.

Die radikalere Linke tut sich ebenfalls schwer mit Bedingungslosem Grundeinkommen und Lohnarbeitsbashing. Ganz so, als wäre das der letzte Pfand, als wäre die Lohnarbeit mit ihrem Potential, diese auch (kurzzeitig) zu verweigern, die letzte Bastion gegen den endgültigen Sieg des Kapitals.

Ein über die Arbeitsgesellschaft hinausweisendes Programm erfordert utopische Ambitionen. Die Geringschätzung utopischer Fantasien übersieht, dass es gerade das Moment der Imagination ist, das Utopien für jeden politischen Wandel unentbehrlich macht. „Wir müssen uns wieder an die Zukunft erinnern“, meinen Srnicek/Williams.

Das Bedingungslose Grundeinkommen alleine verändert nicht die Machtverhältnisse im Kapitalismus. Rassismus, Sexismus und Klassenverhältnisse wirken weiterhin, so weit haben die Kritiker*innen recht. Eine kluge Kampagne bietet aber Potential, hierarchische Verhältnisse poröser zu machen. Das gilt für Arbeitsbeziehungen genauso wie für Familienverhältnisse. Nichts wird automatisch anders, aber vieles wird beweglicher.

„Keine Form der Lohnarbeit … kann die Missstände der Lohnarbeit selbst überwältigen“, schreibt Marx im Kapital. Wie recht er hat.