MALMOE

TRAUMTAGEBUCH

Im Irrgarten

Es ist einer dieser Dienste, die mich an meine Grenzen bringen. Alleine Nachtdienst in einem Wohnheim für wohnungslose Personen. Im 2. Stock gibt es Streit bei einem Pärchen. Sie will, dass er geht. Er will das nicht akzeptieren. Es hagelt Schreie, Drohungen, Flüche. Irgendwie kann ich ihn dazu bewegen, in sein eigenes Zimmer zu gehen. Mit dem Erfolg, dass er fünf Minuten später wieder im Gang steht und lautstark Einlass in das Zimmer seiner (Ex-)Freundin verlangt. In dem Moment bricht eine andere Frau bewusstlos zusammen. Erste Hilfe leisten, mit der Rettung telefonieren, Deeskalation üben – und das alles gleichzeitig. Die halbe Nacht geht es in dieser Tonart weiter. Völlig erschöpft, gleichzeitig aber auch überdreht, komme ich am nächsten Tag nach Hause.

Ich wünschte, ich könnte nach so einem Dienst von süßen Träumen berichten. Davon, dass sich die Marginalisierten nicht gegenseitig fertig machen. Dass zumindest unter den Außenseiter*innen andere, solidarischere Spielregeln anstatt der elendigen patriarchalen Gewalt und dem Recht des Stärkeren gelten. Dass mein Job überflüssig wird, weil das Menschenrecht auf Wohnen endlich ernstgenommen wird. Dass der Sozialstaat abgeschafft wird, weil es nach dem Ende des Kapitalismus keine sozialen Ungleichheiten mehr abzumildern gibt. Doch das kann ich leider nicht.

Die Wahrheit ist, dass mein Körper in solchen Situationen, gefangen zwischen Erschöpfung und Anspannung, komische und dunkle Träume produziert, an die ich mich nach dem Aufwachen nur bruchstückhaft erinnern kann. Ich weiß, dass ich in einem Irrgarten herumtappe, nach einem Ausweg suche. Doch plötzlich merke ich, dass ich im Kreis laufe. Der Rest des Traumes verschwindet in den dunkeln, unerreichbaren Gängen meines Gedächtnisses.

Ich bringe den Traum in Verbindung mit meinem Berufsleben. Auch da bin ich in einem Irrgarten. Ich will konkret Menschen helfen. Gleichzeitig bin ich aber als Personifizierung jenes Systems tätig, dass Wohnungslosigkeit erst erschafft. Das Dilemma lässt sich mit dem bekannten Spruch „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ auf den Punkt bringen. Aber probieren muss mensch es doch irgendwie …

Georg Borty