MALMOE

„Und dann ist das Meer eben schön und es ist gleichzeitig aber auch einfach ’n Grab“

Filmische Perspektiven zur Seenotrettung

Klar, das Meer… also ich mag das Meer gerne. Ist schön. Also hat was Schönes so, nä (?). Aber gleichzeitig hast du halt dann eben doch immer noch das andere. Und dann ist das Meer eben schön und es ist gleichzeitig aber auch einfach ’n Grab. Und das ist dann… diesen Widerspruch krieg… also, ich habe ihn jedenfalls nicht aufgelöst gekriegt – aber warum auch?! Der existiert und den kannst du ja… also aus meiner Sicht muss man das mit sich selber ausdealen, damit irgendwie zurechtkommen. (Antje)

Antje und Dariush – Ein Porträt

Seit zwei Jahren arbeiten wir, Luise Müller (Regie) und meine Projektpartnerin Maria Lisa Pichler (Ton, Schnitt und Produktion) an einem dokumentarischen Porträt über Antje und Dariush. Abgedreht haben wir im Juli. Der Schnitt beginnt im Oktober. Fertigstellung ist im Frühjahr 2020.

Auf Dariush bin ich durch ein Interview in der taz gestoßen. Ein Hamburger Binnenschiffer über vierzig. In den letzten drei Jahren ist Dariush in jedem Urlaub seines Vollzeitjobs mit Seenotrettungsmissionen auf das Mittelmeer rausgefahren, um flüchtende Menschen zu retten. Ich fragte mich: Wer ist er und was treibt ihn?

Der Dreh mit Dariush begann im Sommer 2019. Im Laufe der Dreharbeiten lernten wir Antje kennen. Antje hat an drei Seenotrettungsmissionen teilgenommen. Sie hat lange als Sanitäterin gearbeitet und begleitete die Missionen als medizinische Assistenz. Die beiden sind seit mehr als fünfzehn Jahren zusammen.

Bei der letzten Mission, 2019, durfte das Schiff den Hafen nicht mehr verlassen. Gegen Dariush wird in Italien ermittelt. Der Vorwurf lautet „Beihilfe zu illegaler Einwanderung“. Das Strafmaß liegt bei bis zu zwanzig Jahren Haft und mehreren Millionen Euro.   

Zu mir

Mit vierzehn war ich auf meinem ersten Punkkonzert. Meine Pubertät verbrachte ich in der Straßenpunkszene in Frankfurt am Main. Die erste Hochzeit in meinem Freund*innenkreis fand statt, damit eine Freundin nicht nach Litauen abgeschoben werden konnte. Bei der zweiten wollte eine andere Freundin nicht zurück in den Iran, den sie vor acht Jahren verlassen hatte.

Meine politischen Positionen haben sich weniger beim Lesen von theoretischen Texten entwickelt, sondern mehr aus Erfahrungen von Gewalt und Diskriminierung in meinem Umfeld. Schon früh wollte ich verstehen, welches die Umstände sind, die dazu geführt haben, dass Menschen zu denen geworden sind, als die sie sich im Moment unserer Begegnung zeigen. Dazu ließ ich mir ihre Geschichten erzählen.

Erzählen

Ich mag Filme, weil sie auf so vielen Ebenen funktionieren können. Sie funktionieren über Ton, über Bild, über Zeit, über Intellekt und Emotionen. Dabei können zwischen den verschiedenen Ebenen Widersprüche entstehen – Ambivalenzen.

Beim Dokumentarfilm kann ich mich intensiv mit Verhältnissen außerhalb meines alltäglichen Umfelds auseinandersetzen. Einerseits arbeite ich mit dem, was bereits da ist und reagiere. Andererseits gibt mir Film die Möglichkeit das Gegebene neu zu ordnen, es so zu erzählen, dass andere Ebenen, die im direkten Sehen unsichtbar bleiben, erst erlebbar werden.

Kennenlernen

Das Thema der Seenotrettung und ihre politische Bedeutung haben sich für mich durch Dariush, Antje und die Recherche rund um den Film erschlossen.

Bei der Suche nach einem Motiv für einen Film stand für uns ein interessanter Charakter im Zentrum. Ich entwickle ein Thema lieber durch eine*n Protagonist*in als für ein Thema eine*n Repräsentant*in zu suchen. Sie sollen für sich selbst stehen, ohne dabei nur in Bezug zu etwas gelesen zu werden. Bei der Wahl meiner Protagonist*innen spielt natürlich implizit meine politische Prägung eine Rolle.

Bei einem Porträt geht es mir darum, jemanden wirklich kennenzulernen; zu verstehen, wie die Person lebt, wie sie ihrem Leben Sinn gibt und sich die Welt erklärt. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass ich meine Protagonist*innen ernst nehme und mich für sie interessiere. Dazu will ich die Person möglichst in ihrer gesamten Fülle wahrnehmen und auch die Seiten, die mir vielleicht nicht so gefallen, akzeptieren. Gerade Ambivalenzen in Charakteren machen für mich eine Person greifbar und sollten daher auch Teil der filmischen Erzählung sein. Dabei ist es mir wichtig, einen wohlwollenden Blick auf meine Protagonist*innen zu bewahren.

Hinsehen

Seenotrettung ist ein Politikum, an dem gerade ausgehandelt wird, welche Menschen einen Anspruch auf humanitäre Werte haben. Während dieser Zeit, in der wir am Film arbeiten, haben sich die Repressionen gegen private Seenotrettungsorganisationen so stark verschärft, dass phasenweise kein Seenotrettungsschiff mehr auf dem Mittelmeer unterwegs war.

Gewalt war für mich nie unsichtbar, hat sich nie versteckt. Es war immer vielmehr eine Frage, ob man hinsieht. Das möchte ich in meinem filmischen Schaffen: Hinsehen. Dabei braucht es nicht unbedingt immer besonders rabiate Bilder. Gewalt zieht sich durch alle Facetten der Gesellschaft und unser Leben in ihr. Das Brutale offenbart sich nicht nur da, wo es offensichtlich wird. Gerade im Schönen und Ruhigen kann es liegen – in der Nicht-Sichtbarkeit der Gewalt.

Die endlose Weite des Meeres, von dem man weiß, dass es ein Massengrab der europäischen Grenzpolitik ist, ist dabei noch ein sehr offensichtliches Beispiel.

Wir hatten nicht die Möglichkeit mit Antje oder Dariush auf eine Mission zu fahren. Was das für den Film bedeutet, werden wir beim Schnitt herausfinden.

„Dariush“ (Arbeitstitel), ein Film von Luise Müller (Regie), Maria Lisa Pichler (Originalton, Produktion, Schnittassistenz), Lukas Schöffel (Kamera), Catrin Freundlinger (Produktion) und Daniel Fill (Schnitt)