MALMOE

Besser als nichts

Kritische Überlegungen zum Haus der Geschichte

Am 10. November eröffnete das Haus der Geschichte rechtzeitig zum 100-jährigen Repu­bliksjubiläum ausgerechnet in der Neuen Burg. Es reiht sich in eine lange Reihe von gescheiterten Versuchen und Kontroversen um ein österreichisches Nationalmuseum ein und muss wohl selbst als (Im-)Provisorium betrachtet werden. Der Umgang des offiziellen Österreichs mit dessen neuester Institution und die Eröffnungsausstellung, mit der diese sich einer Öffentlichkeit präsentiert, erzählen auch von der Funktion von Erinnerung in einem europäisierten Kontext, der jedoch konsequent verheimlicht wird.

Nationalgeschichte schreiben

Keine „Identitätsmaschinen des 19. Jahrhunderts“ sollen sie mehr sein, die neue Generation von Geschichtemuseen. Vielmehr Orte des Ausverhandelns, Platz für Selbstreflektion, Gelegenheit zur Selbstvergewisserung. Jedoch auch eine moralische Institution, ein Korrektiv, laute Zwischenrufer.

Sie sollen gesichertes historisches Wissen bieten, zur Orientierung in Zeiten, wo nichts mehr ordnend scheint. Sie sollen sich gleichzeitig der Bedrohung gewahr sein, dass die Funktion von Museen lange die ideologische Bestätigung von bestehenden Ungleichheiten war und deswegen ihre potentielle historische Deutungshegemonie „hinterfragen“.

Diese Anforderungen passen zur Genese einer „verzeitgeschichtlichten“ Auffassung von Geschichte, die in ihrer mediatisierenden Form von Erinnerung und Erinnerungskultur zunehmend ununterscheidbarer geworden ist.

Im 19. Jahrhundert bildete sich im Rahmen eines europaweiten Nation Buildings ein Repertoire an historisch-identitätsstiftenden Werkzeugen heraus: Flaggen, Sprachpolitik, Feiertage, in der Gegenwart konstruierte und in die Vergangenheit zurückprojizierte Traditionen.

Nach den Erfahrungen der Zwischenkriegszeit und dem zeitgenössischen Eindruck der I. Republik als „Reststaat“ ohne Identifikationspotential war die Schaffung eines Österreichbewusstseins ein politisches Erziehungsprojekt jeder Regierung bis in die 1970er-Jahre unter aktiver Einbeziehung der Geschichtswissenschaften. Vor allem in den ersten Jahrzehnten gelang dies vor allem durch das Schüren von Bundesländerpatriotismen, was sich wiederum in der Museumslandschaft bis heute widerspiegelt.

Die These von Österreich als erstem Opfer Nazideutschlands fiel spätestens mit der sogenannten „Waldheim-Affäre“ in den 1980er-Jahren und leitete einen Paradigmenwechsel in der offiziellen Geschichtspolitik der Republik ein.

Ein Paradigmenwechsel war zur selben Zeit auch in anderen westeuropäischen Ländern zu beobachten: die Hinwendung zur Erinnerung. Das (kollektive) Gedächtnis als kulturelle und politische Praxis ist eine überraschend junge Erscheinung und war ein Leitbegriff des Cultural Turn. Seitdem ist das kollektive Wissen um die Vergangenheit nach Jan Assmann Gegenstand ständiger konfliktreicher Neuverhandlungen. Die Kritik an „verdrängter Vergangenheit“ kann, je nach Beteiligungsmöglichkeit der Akteur_innen, identitätsstiftend sein – gerade im ausgehenden 20. Jahrhundert, das an vereinenden Utopien verlustig ging.

Der große Unterschied zu früheren Erinnerungsbezügen war der Anspruch auf eine Geschichtsmoral, die „eigene“ kollektive Verbrechen aufarbeitet und diesen gedenkt. Vor allem Deutschland sollte zur Exportnation der eigenen Erinnerungskultur werden, die längst Teil einer nationalen Leitkultur geworden war.

Seit den 1990er-Jahren findet eine Europäisierung des Gedenkens statt, wobei zwei Entwicklungen dominant sind:

  1. Die Universalisierung der Shoah als Prototyp eines Verbrechens gegen die Menschheit, das unbeschreiblich Böse, welches, zum Allgemeingut enthistorisiert, Maßstab für eine Vielzahl späterer Opfererfahrungen wurde. Eine Geschichtslektion ohne Konsequenz für viele Anlässe. Damit einher gehen zum einen eine Dekontextualisierung der Ereignisgeschichte und eine Metaphorisierung von Täter_innen- und Opfergruppen, speziell von Juden und Jüdinnen; zum anderen einen Vorrang der Opferperspektive in Vergangenheitsbetrachtungen Dies ist im „postheroischen Zeitalter“ nicht nur in der Geschichtswissenschaft selbst zu beobachten, der Zeithistoriker Henry Rousso beobachtet auch in der Selbstdarstellung antikolonialer Befreiungskämpfe oder der Résistance einen Rückgang von Helden und Märtyrer-Bezügen.
  2. Die Bruchlinie zwischen postkommunistischen und postnazistischen Narrativen. Letztere sehen die Shoah als negativen Gründungsmythos Europas. Kritisch betrachtet ist auch das Teil einer alten westeuropäischen Machtstrategie, einen Partikularismus zu formulieren und ihn dann als universal zu behaupten – Osteuropa ist, wie so oft, höchstens „mitgemeint“. Die offizielle Geschichtspolitik der postkommunistischen Länder Ostmitteleuropas inklusive den baltischen Staaten sieht die eigene Volksgemeinschaft als Opfer zweier totalitärer Regime, wobei die nationale Beteiligung an den NS-Verbrechen ignoriert oder verharmlost wird und die kommunistischen Eliten russifiziert oder, in antisemitischer Weise, jüdisch kontrolliert, dargestellt werden. Versuche, auf EU-rechtlicher Ebene gemeinsame Erinnerungspunkte zu verankern, wie zum Beispiel der „Europäische Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus“ am 23. August anlässlich des Molotow-Ribbentrop-Paktes 1939 und der noch weitreichendere Forderungskatalog der „Prager Erklärung“ 2008 werden angesichts dieser Differenzen keinen Erfolg bezüglich der Schaffung „einer (!) europäischen Geschichte“ haben.

Braucht es ein Haus der Geschichte?

Die lange Geschichte an Versuchen der Institutionalisierung eines solchen Museums ist die Geschichte von vielen Niederlagen und Arbeitsgruppen-Gräbern. Die Frage, ob es denn ein Haus der Geschichte bräuchte, wurde jedoch nahezu nie mit „Nein“ beantwortet. Eine Ansicht war es, gemäß der Genese des Österreich-Bewusstseins selbst, solch ein Haus in der Summe aller Landesmuseen schon verwirklicht zu sehen.

Im Vergleich mit der internationalen Museumslandschaft stellt Wien mit dieser Leerstelle sowieso eine Anomalie dar. Entscheidende Impulse gaben oft Jubiläen. Gedenkjahre und volle Geburtstage sind eine wunderliche Sache, eigentlich ja lediglich ein ästhetischer Zufall unserer Arithmetik und doch entfalten sie – meist von Oben inszeniert – eine gewisse Mobilisierungskraft, vor allem was Finanzierungszusagen betrifft.

Schon 1919 dachte der Staatsrat an eine nie realisierte „Geschichtskammer“ Deutsch-Österreichs. 1946 eröffnete das „Museum für österreichische Kultur“ just in der Neuen Burg, litt jedoch an mangelndem Besucheranklang und wurde in den 1970-er Jahren geschlossen, bis es 1987 in Eisenstadt für einige Jahre ein Comeback feierte. In den 1990er-Jahren wurde ein von Leon Zelman, dem Leiter des Jewish Welcome Services, angedachtes „Haus der Toleranz“ durch eine Machbarkeitsstudie schon etwas konkreter, gleichzeitig wurde eine Erweiterung des Heeresgeschichtlichen Museum in Betracht gezogen.

Endgültig von den Parteien politisiert wurde das Projekt in den 2000er Jahren mit zahlreichen Vorschlägen von ÖVP und SPÖ; erst im April 2008 folgte ein Ministerratsbeschluss zur Detailplanungsbeauftragung; erst anlässlich des großen Gedenkjahres 2014 kam erneut parteipolitischer Schwung in die Diskussion, als Josef Ostermayer als Kulturminister angelobt wurde, der das schon vor ihm geplante Weltmuseum „redimensionierte“. Als dann auch die Sammlung alter Musikinstrumente „redimensioniert“ werden konnte, hatte das geplante Haus der Geschichte so viel Platz, wie sich eben rechtfertigen ließ. 2015 wurden die ersten Pläne des wissenschaftlichen Beirats präsentiert.

2017 schon eröffnete das „Haus der Geschichte“ im Museum Niederösterreich auf Initiative von Erwin Pröll, der auch in der Ausstellung prominent als Landesvater vertreten ist. Ein österreichisches Lehrstück über großkoalitionären Proporz und Föderalismus, aber auch eine Erinnerung daran, wie polarisiert bis heute die Erinnerung an Austrofaschismus und den Bürgerkrieg im Februar 1934 ist.

Museum des Mangels: „­Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918“

Die erste Dauerausstellung des Haus der Geschichte Österreich zeigt kuratorisches Bemühen. Raffiniert werden Sichtachsen gebrochen, Blicke angezogen, Beklemmung geschaffen. Der Mangel, der dies notwendig macht, ist überall spürbar. Auf lediglich 60 Laufmetern soll Geschichte „spürbar“ gemacht werden.

Besucher_innen erwartet nach den Treppen zuallererst das Ephesos-Museum mit seinen imposanten antiken Statuen. Das HdGÖ hingegen erwartet nicht, es muss quasi gefunden werden. Selbstreflektion und zivilgesellschaftliche Partizipation zur diskursiv orientierten neo-nationalstaatlichen Neuausrichtung benötigt keinen Pomp. Um mit der imperialen Rahmung der Neuen Burg fertig zu werden, tauchte das Designbüro die Ausstellungsräumlichkeiten in Neon-Weiß und inszenierte die Ausstellung selbst als Baustelle.

Um nicht in den Nimbus einer obrigkeitlichen Deutungsorder zu geraten, verzichten die Kurator_innen gleich ganz auf ein Leitsystem. Der spärliche Platz ist in drei Räume aufgeteilt. Der erste Raum thematisiert die Republiksgründung 1918/1919, wobei ein Mangel an Vorgeschichte das Verständnis des gezeigten nur fragmentarisch zulässt. Raum II und III sind in der Raummitte von den „Diktatur“-Blöcken Austrofaschismus (oder Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur?) und Nationalsozialismus dominiert, die rechte Wandseite ist chronologisch durchlaufend der Periodisierung jedes Jahrzehnts gewidmet. Diese Wandinstallation wird durch visuelle Zeitzeugnisse dominiert, vor allem durch politische Plakate, was durch den Platzmangel schnell überfordernd wirkt.

Die Ausstellung will vieles gleichzeitig leisten: Sie will kanonisiertes Geschichtswissen als Überblick vermitteln; touristischer Informationsort sein; verschiedene Generationen an Besucher_innen sollen sich in ihr wiederfinden.
„Die Jugend soll wissen, wie es früher war“ wurde bei der Ausstellungseröffnung oft als Erwartung formuliert.

Die Ausstellung fragt zurück: „Was ist österreichisch?“ und „Wofür lohnt es sich zu kämpfen?“

Sie lädt ihr Publikum dazu ein, Zeitzeug_innenposition zu beziehen und beweist selbst einen unsicheren Umgang mit „ordnenden“ Ereignissen. In den vergangenen Jahren war die Periodisierung eines österreichischen Geschichtsmuseums Gegenstand der hitzigsten Debatten. Ohne Bezüge zur Habsburgermonarchie wäre die „lange“ österreichische Geschichte nicht zu verstehen, kritisierten vor allem Historiker_innen anderer Disziplinen die kurze Sicht der Zeitgeschichte. Damit einher gehen neue Versuche in der Literatur, alternative Ordnungen weg vom vielbeschriebenen „kurzen“ 20. Jahrhundert und dem 1. Weltkrieg als Zäsur und Epochenbruch zu formulieren.

Allein die österreichische Parteiengeschichte ist nicht darzustellen ohne Bezüge zu deren Gründungskontext in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Weder Parteien, noch Ideologien werden in der Ausstellung sui generis thematisiert. Vielmehr konzentriert sie sich auf die Perioden 1933–1938 und 1938–1945 als Gewaltgeschichte und ihre Bedeutung für die 2. Republik im Blick zurück.

Eine verpasste Chance ist an dieser Stelle, die klassische Erzählung von österreichischer Erinnerungskultur nicht mit einer gesamteuropäischen Entwicklung abzugleichen. Überhaupt fehlt in der Geschichte der 2. Republik die Einbindung in internationale Zeitenwenden des mittelgroßen, mitteleuropäischen Staates Österreichs. Migration und Demographie werden ebenso ignoriert, wie die Auswirkungen der Transformation seiner östlichen Nachbarstaaten.

Die im europäischen Vergleich verspätete Errichtung eines historischen Museums könnte ein Glücksfall sein. Wenn die Gelegenheit genutzt wird, eine demokratisch agierende Institution zu schaffen, die nicht in die Beliebigkeitsfalle einer staatstragenden Chronologie- und Rezeptionsgeschichte fällt, sich um den Aufbau einer eigenen Sammlung bemüht und sich für die Vernetzung zeitgeschichtlicher Akteur_innen einsetzt. Weg vom Schulbuchwissen, weg von Designüberfrachtung, weg von der Hofburg.