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MALMOE

Müde bis zum Stillstehen

Stillstand als Teil des Politischen

Hier steht kein neues Rad, sondern ein Reminder: Müdigkeit ist ein gesellschaftliches Symptom, welches oftmals knallhart in die eigene Erfahrungswelt tritt, in Form von Erschöpfung. Es ist ein Prozess der Ermattung, welcher dem passiven Subjekt zugefügt wird. „Wie bin ich?“ „Müde“ – ein Adjektiv also.


Aktiv müde sein?

In Differenz dazu soll hier eine aktive Handlungsoption starkgemacht und herausgearbeitet werden, wie solch eine aktive Müdigkeit aussieht und was sie kann. Das ist kein grammatikalisches Spiel, sondern hat politische Wirkmacht und Tradition.

In linken Gesellschaftszusammenhängen wird oftmals von „Stillstand“ gesprochen. Stillstehen ist die aktive Gangart des Müdeseins, das Verb, nach dem ich suche. Ob als Trauerfeier, Generalstreik, eine sich täglich ziehende Mittagspause oder als ein poetisches Blaumachen hat sie unterschiedliche Dimensionen und ist in verschiedenen Räumen verankert.

Kein Malediven-Urlaub

Die Kunst des Stillstehens ist keine, durch die eins Energie tankt, um danach noch effizienter zu sein, sondern eine, die sich als Teil des Politischen versteht. Diese Betonung zielt auf die klare Unterscheidung zum neoliberalen Konzept von „Self Care“ ab, welches das Subjekt ebenso warenförmig macht. Das bedeutet, unter dem Stichwort „Humankapital“ freie Zeit als Ressource zu verwenden, um sich als Subjekt mit Attributen zu versehen, die wiederum einen Vorteil im kapitalistischen System bringen.

Aber von welchem Stillstand rede ich, wenn es nicht der Urlaub auf den Malediven ist, der mich braun gebrannt, mit abenteuerlich exotischen Erzählungen ausgestattet und ein paar erworbenen Brocken der landesüblichen Sprache zu deiner neuen Lieblingskollegin macht? Ich rede vom Stillstand als Leerstelle.


Stillstand als Leerstelle

So wie wir ein Zusammenspiel von Politik, Staat und Ökonomie als herrschende Ordnung verstehen, so kann sich diese repräsentieren. Das heißt, sie ist verankert in einer selbstgeschaffenen „symbolischen Ordnung“, wie es der Psychoanalytiker Jacques Lacan nennt und später vom Pop-Philosophen Slavoj Žižek prominent übernommen wird.

Unsere Leerstelle ist nun dasjenige Moment, in dem von der symbolischen Ordnung ausgeschlossene Elemente zwar nicht direkt sichtbar gemacht werden, jedoch auf sie verwiesen werden kann. Wie ein leerer Stuhl in einer Schulklasse nicht direkt darauf schließen lässt, dass das fehlende Kind krank ist, aber dessen Abwesenheit ist repräsentiert und lässt die anderen darüber nachdenken, wieso es fehlen könnte.

Gehen wir weiter und folgen der Idee Judith Butlers. Butler bespricht die Möglichkeiten der Leerstelle, das herrschende System zu irritieren und es an seinen Rändern zu verschieben. Butler veranschaulicht dies mit einem Spiel aus der Kindheit. Ich hatte es im kleinen Plastikformat, aber auch digital hatte es schweres Suchtpotenzial: In einem fixen Rahmen sind kleinere quadratische Formen in verschiedenen Farben. Diese können verschoben werden, da ein Feld frei ist. Eins nach dem anderen, frustrierend langsam, aber auch genugtuend überschaubar, verrücken sich so Feld für Feld die Formen innerhalb des Kasterls, bis – so das Ziel des Spiels – alle Farben sortiert sind. Dieser freie Raum, bei Butler der leere Signifikant, ist unsere Leerstelle.

Woman in Black

In dem Buch von Athena Athanasiou Agonistic Mourning. Political Dissidence and the Women in Black geht es genau darum. Athanasiou bespricht eine Aktion in Belgrad nach dem Jugoslawienkrieg. Die „Frauen in Schwarz“ trauern dabei um die Gefallenen: Gefallene, die in der Erinnerungskultur keinen Platz haben, aus politischen Interessen nicht repräsentiert sind; Trauer ohne die üblichen Wehklagen, sondern in Stille. Im Titel heißt es „agonistic“, was so viel bedeutet wie „in gleicher Richtung wirkend“. Das heißt, dass sich die Aktivist*innen der Symbolik habhaft machen und damit operieren – also in die gleiche Richtung wirken –, dann aber Irritation schaffen, indem sie an markanten Stellen symbolisch wie inhaltlich abzweigen.

Was hat das nun alles gleich mit Müdigkeit zu tun? Der Versuch war es, Stillstand als Handlung gegenüber Müdigkeit als Symptom zu betrachten. Stillstand war in weiterer Folge als Leerstelle gedacht, die es vermag, Dissens zu erzeugen. Was übrigens auch mit Reflexion gemeint ist, so es bedeutet, Gedankenstrudel zu unterbrechen. Mit der nötigen Distanz gilt es, Raum zu schaffen, um eigene Bedingungen, den eigenen Standpunkt, Logiken des Marktes, der Verwertung, sprich die herrschende Ideologie kritisch zu betrachten.

Auch wenn wir von einer herrschenden Macht ausgehen, ist diese nie homogen, sondern immer schon durch ihre Ausschließungsmechanismen divers. Denn auch als abgeschnittener Rest bleiben sie Teil davon. Dieser Rest – so die Idee – sollte nur öfter in Erinnerung gebracht werden. Müde sind wir alle, aber lasst uns doch mal stillstehen und die Reste aufklauben!

Irene Salzmann