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MALMOE

Krieg als 
Durchlauferhitzer

Harun Farockis filmische Arbeiten über Krieg und Kapital

Dass sich der Steirische Herbst dieses Jahr mit dem Krieg beschäftigen sollte, stand schon wenige Wochen nach dem Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine im Februar 2022 fest. In dieser Hinsicht gestaltete sich das Programm des Grazer Kunstfestivals, in dessen Ausstellungen immer wieder die Folgen europäischer Kriege eingeschrieben sind, um einiges ruhiger und konzentrierter als in den Vorjahren. Neben der Gruppenschau Ein Krieg in der Ferne in der Neuen Galerie Graz, die noch bis Mitte Februar 2023 zu sehen ist, wurde das Forum Stadtpark mit Videoarbeiten von Harun Farocki bespielt. Unter dem Titel Harun Farocki gegen den Krieg zeigte die Schau einen spezifischen Einblick in sein umfassendes Gesamtwerk, konzipiert von Antje Ehmann, der Partnerin des 2014 verstorbenen Filmemachers. Die Kuration unternahm insofern den Versuch, eine Verbindungslinie durch den vielseitigen Werkkomplex Farockis zu ziehen, dessen politische Überzeugungen und künstlerische Ansätze sich im Laufe der Zeit immer wieder veränderten.


Archäologie des Blicks

Die Beschäftigung mit dem Krieg und seinen Folgen nahm für Farocki zeitlebens einen zentralen Stellenwert in seinen Arbeiten ein. Die Ausstellung im Forum Stadtpark sah es dabei vor allem auf jene Arbeiten ab, die noch kaum oder gar nicht bekannt sind und bislang nur vereinzelt in anderen Ausstellungen gezeigt wurden. An drei Orten des Raumes waren Sichtungsstationen eingerichtet. Der zusammenhängende Rundgang begann dabei mit den ersten filmischen Versuchen Farockis, die Ende der 1960er-Jahre an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin entstanden und von einem revolutionär-maoistischem Anspruch geprägt waren. Darunter befinden sich Arbeiten wie Die Worte des Vorsitzenden oder White Christmas, die sich an der deutschen Nachkriegsgesellschaft und nicht zuletzt dem Springer-Konzern abarbeiteten (Ihre Zeitungen). Aufgrund des dogmatischen Gestus dieser Filme ließe sich von Schlagwort-Filmen sprechen, die eher zur politischen Agitation als zum dialektischen Denken anregen. Dabei könnte man sie als Vorarbeiten für seine längeren, essayistischen Filme wie Zwischen zwei Kriegen oder Etwas wird sichtbar betrachten. In beiden Fällen näherte sich Farocki bereits dem besonderen Verhältnis von Krieg, Ökonomie und Gesellschaft an – am Beispiel der Weimarer Republik einerseits und Vietnam andererseits. Leider fanden sich diese – vor allem an Marx und Brecht geschulten – Arbeiten in der Grazer Schau nicht wieder.

Daneben wurden zwei weitere Videoarbeiten aus einer frühen sowie einer späteren Periode vorgestellt, die sich mit der Analyse historischer Abbildungen beschäftigten (Zwei Wege, Das Silber und das Kreuz). Durch ihre Gegenüberstellung entsteht ein Vergleich zwischen den Kolonialunternehmungen Westeuropas in Lateinamerika von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. Die Suchbewegung in diesen Filmen gleicht dabei einer archäologischen Freilegung. Unter dem Deckmantel der Christianisierung weisen die Spuren auf brutale Ausbeutungsverhältnisse und rücksichtslose Infrastrukturerschließungen hin, deren Auswirkungen sich heute vor allem in grassierender Arbeitslosigkeit bemerkbar machen. Bezeichnet mit dem Namen des „Potosí-Prinzips“, geht Farocki so dem Zusammenhang von ursprünglicher Akkumulation in den Überseekolonien und der spezifischen Bildproduktion dieser Verhältnisse nach. Zwar ist in dieser Hinsicht nicht unmittelbar vom Krieg die Rede, die Unschuld des Bildes beziehungsweise des Blickes wird jedoch dahingehend infrage gestellt.

Unterkühlte Kulturtechniken

So widmete sich der dritte Teil der Ausstellung den Techniken automatisierter Bildverarbeitung und deren Bedeutung für die moderne Kriegsführung. Seit Beginn des Zweiten Golfkrieges, als plötzlich Flugaufnahmen von Bombardements im Fernsehen wie selbstverständlich zu sehen waren, beschäftigte sich Farocki mit der Problematik „operativer Bilder“. Insbesondere die Arbeit Ausweg geht der Frage nach, wie sich Destruktion und Produktion im Krieg gegenseitig bedingen. Kriegerische Handlungen im Sinne einer vermeintlich humanitären Zielsetzung müssten insofern immer „treffsicherer“ werden. Wie diese Filme veranschaulichen, wirkt sich das erworbene Wissen der Kriegstechniken auf den gesamtgesellschaftlichen Produktionskreislauf aus und umgekehrt. Das, was unseren Alltag nüchtern bestimmt, entwickelt im Krieg ein zerstörerisches Potenzial. Beiderseits vermitteln Bilder hoch spezialisierte Wissensformen, die von einer zweifelhaften Rationalität angetrieben werden – wahlweise erhitzt oder unterkühlt. Farockis Arbeiten lesen sich also nicht unbedingt als zeitgemäßer Kommentar zum Krieg in der Ukraine, sondern regen vielmehr zum Nachdenken über die politökonomischen Bedingungen des Krieges im Allgemeinen an. Dennoch würde man sich in der Ausstellung mitunter eine bessere Einordnung wünschen, eine solche kann auch eine lieblose Leseecke mit den gesammelten Schriften Farockis nicht leisten. Die Ausstellung Harun Farocki gegen den Krieg ist ab jetzt in der Berliner Galerie Barbara Weiss bis zum 14. Jänner 2023 zu sehen.

Ronny Günl