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MALMOE

Ich will mich spüren

Wie BDSM-Verhandlungspraxen Vorbildwirkung für jede Art von Sexualität haben können

Wie BDSM-Verhandlungspraxen Vorbildwirkung für jede Art von Sexualität haben können
Um gleich zu Beginn dieses Artikels offenzulegen warum ich mich dazu bemüßigt fühle zu den Themen Behinderung und BDSM einen Artikel zu verfassen, ist den Umständen geschuldet, dass vor 16 Jahren bei mir Multiple Sklerose diagnostiziert wurde und dass ich mich seit noch längerer Zeit in der queer-feministischen Frauen*Lesben*Inter*Trans* (FLINT*)-BDSM-Szene verorte und bewege (gelegentlich auch in jener des heteronormativen Mainstreams.)

Was bedeutet BDSM eigentlich? Laut Wikipedia „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“. Aktuell vermag BDSM eine gehörige Faszination auszulösen; ihre Kriminalisierung gehört der Vergangenheit an, solange Partizipierende konsensual, also einvernehmlich handeln. Um diesen Konsens zu finden, braucht es Gespräche und Verhandlungen darüber, wer mit wem was machen will und dann miteinander auch tut. Das sind im BDSM wesentliche Bestandteile für ein vergnügliches und sicheres Geschehen.

Ich stelle mir die Frage, ob damit heute schon jegliche gesellschaftliche Stigmatisierung dieser sexuellen Ausdrucks- und Lebensweisen ein Ende gefunden hat. Hat BDSM endlich Legitimität und eine Daseinsberechtigung erlangt? Laut meiner Einschätzung kann ich dazu leider nur anmerken: „Schön wär’s!“

Behinderung und BDSM

Besonders interessiert mich das von Positionen behinderter Personen aus, für die BDSM gerade deshalb als begehrenswert erlebt werden kann, weil die Praktiken starke Einwirkungen implizieren und dementsprechend oft als „heilend“ empfunden werden, gerade wenn die Krankheit an manchen Körperstellen Empfindungen stark beeinträchtigt, undeutlich, geringer und schwach wahrnehmbar werden ließ.

Wie verhält es sich also mit der Vereinbarkeit von Behinderung und BDSM? Werden Menschen mit Behinderung in diese Kontexte, zum Beispiel zu Playparties und Festivals eingeladen oder an der Teilhabe gehindert und damit von den äußeren Umständen behindert? Ist ein barrierefreier Zugang möglich und Diskriminierung vermeidbar? Dazu braucht es ein explizites politisches Bekenntnis, einen Auftrag sozusagen. Im Diskurs, in der Raumsuche muss bereits dahingehend gedacht und gearbeitet werden.

Neue Werbungs- und Balzrituale durch Verhandlungen

Wer wagt dann den ersten Schritt der An- und Nachfrage, ob Interesse an einer körperlichen, spielerischen und/oder emotionalen Interaktion besteht? Klar ist das heikel, denn dieser Schritt beinhaltet immer auch die Möglichkeit der Abweisung des Gegenübers, die ausgelöst werden könnte. Und ein Korb fühlt sich meistens nicht gut an.

Nicht so unüberwindbar, vernichtend und tragisch-komisch wie in der Dominanzkultur verhält es sich damit auf einer Playparty. Der vergleichsweise einfache und unproblematische, weil klare Umgang miteinander, stellt einen großen Plus-Punkt dar. Dadurch dass Verhandeln mit all seinen beiderseitigen Reaktions-Varianten eingeplant und vorgesehen ist, wirkt ein „Nein“ bei weitem nicht derart vernichtend, wie es sonst in der „bekannten“ Hetero-Sex-Welt zu erleben ist. Dort heißt ein „Nein“ zu mir als weiblicher*, queerer Person nämlich immer auch: „Du hast es nicht richtig gemacht.“, oder „Deine weibliche Performance und Anbahnungs-Sex-Choreograpie stimmt nicht.“ und „Du passt nicht ins System.“

Ein anderer Umgang ist möglich

In der BDSM-Welt hingegen ist „Nein“ eine gleichwertige, bedeutende Antwort, die wertgeschätzt wird und gleichermaßen ein „Dankeschön“ verdient hat, wie jede andere Antwort. Diese Verhaltensweise wäre folgerichtig also insbesondere für empfindsame, sensible Gemüter zu empfehlen! Am schönsten brachte das eine Übung in einem Workshop zum Ausdruck, den ich vor Jahren mit einem Trans-Freund bei der queeren FLINT*-BDSM-Osterkonferenz Berlin für Menschen mit Behinderung (nach Eigendefinition) gab. Dieses Mal waren bei diesem Workshop nicht Personen „mit Behinderung“, sondern bewusst jene „ohne Behinderung“ ausgeschlossen. Bei der Übung arbeiteten zwei Personen zusammen, eine davon hatte den aktiven Part, indem sie die scheinbar Passive an unterschiedlichen Stellen berührte und dort auf ihre Reaktion wartete, die in einem „Ja“, „Nein“ oder „Vielleicht“ bestehen konnte, also dort zu verharren, oder nicht dort zu verharren oder nur kurz und Zeit zu geben. Der berührten Person kam also die wichtige und ausschlaggebende Rolle zu, zu reflektieren und sich klar zu machen an welcher Stelle sie was empfand, also wo sie berührt werden wollte und wo nicht, sowie das notwendig auch Auszudrücken. Sie erkannte so, wo sich ihre persönliche Grenze befindet. Die aktive Person bedankte sich für jede Antwort eines „Ja“, „Nein“ oder „Vielleicht“ gleichermaßen. Eine besondere Herausforderung stellte das für alle Partizipierenden dar, die mit ihren Behinderungen an manchen Stellen weniger oder anders, als Partizipierende ohne körperliche Beeinträchtigung empfanden. Was also besonders Zeit und Langsamkeit für das Hineinspüren abverlangte, sowie ganz wichtig die Kommunikation dessen zur aktiven Partner*in. Das Ganze ist weiter vorstell- und durchführbar mit verschiedenen, fortgeschrittenen Praktiken – Schlagen, Floggen, Wachs, Bondage und so weiter. An sich ist diese Übung bei jedem körperlichen Miteinander möglich und wünschenswert, jedoch leider nicht Usus. So viel kann konsensual über das Wollen einer anderen Person herausgefunden werden, wenn der Sprung gewagt wird nachzufragen und miteinander über sexuelle Aktivitäten zu reden. Wie oft hätte ich mir ein solches Vorgehen in den üblichen, heterosexuellen, testosterongesteuerten Interaktionen gewünscht, in denen unsensibel in harter Manier ohne Nachfrage einfach „stumm“ gemacht und „hart“ losgelegt wird.

Demgegenüber bietet die Verhandlungspraxis in BDSM-Kontexten bestmögliche Tools zur Anerkennung von eigenen Wünschen und Grenzen und denen der Spielpartner*innen. Das ist also sehnlichst überall dorthin zu wünschen, wo Sprachlosigkeit, Beschämung und Tabuisierung existieren. Wie erfüllend und beglückend kann dagegen die klare Sprache in BDSM-Kontexten sein, die auszudrücken vermag was mensch selbst und die*der andere will – oder wollen.