MALMOE

Das Richtige tun, das Falsche wählen

Gestörtes Störendes #16

Ich wähle nicht gern. Also politische Parteien und ihre Vertreter_innen. Im Vorfeld bin ich gestresst, weil ich unsicher bin, was „die richtige Wahl“ sein wird. In der Kabine mache ich dann dort das „X“, wo ich es eh immer mache, entweder Grün (früher) oder ganz links, also KPÖ oder diesmal wohl LINKS. Ich spüre ein Gewicht, eine Last. Ich schätze, es ist die Verantwortung, die einer bzw. einem da nahegelegt wird: Es liegt in Deinen Händen, Du bist der Souverän, Du hast die Macht. Schon während des Ankreuzens spüre ich ganz deutlich, dass das eine Lüge ist. Mich dem Ritual zu entziehen, fühlt sich aber auch nicht gut an. Warum kann ich mich nicht von diesen Zweifeln befreien? Weil es eben auch stimmt.

Wieder einmal haben wir es mit einem Widerspruch zu tun: Ich bin der Souverän, habe aber nichts zu sagen, habe keine Macht – außer die, am Wahltag ein Kreuzchen zu machen. Repräsentativdemokratie wird das genannt, also, dass ich repräsentiert werde, im Sinne von vertreten. Oder ist es so, dass hier etwas repräsentiert, also dargestellt wird? Eine Farce? Ein Drama? Eine Tragödie? Wohl eine Mischung, eine tragische Komödie also. Wir bestimmen und haben nichts zu sagen, wir sind der Souverän ohne Macht. Darum muss unsere Macht umso mehr betont werden: Wir sind das Wichtigste, wir bestimmen, alles passiert durch und für uns!

Gleichzeitig entgleitet uns sie Welt immer mehr, wir haben keine Kontrolle darüber. Wir arbeiten in mehr oder weniger entfremdeten Settings, mit mehr oder weniger Gefühl der Verbundenheit mit anderen und der Welt. Wir fahren Rad, kaufen Bio, unterschreiben Onlinepetitionen und gehen demonstrieren; wenn möglich spenden wir hin und wieder was oder kaufen den Augustin. Gleichzeitig geht alles den Bach runter. Wir haben eine rechte Regierung mit grünem Hütchen, einen US-Präsidenten, der jeder vernünftigen Beschreibung und Analyse trotzt, einen weiteren Faschisten an der Macht in Brasilien usw. Die Klimakatastrophe schreitet auf uns zu, unaufhaltsam, scheinbar. Wir sitzen hier in Österreich noch in einem sehr privilegierten Land, aber auch hier häufen sich die Anzeichen der klimatischen Veränderungen.

Wir sitzen außerdem noch in der Festung Europa, an deren Außengrenzen sich Hilfe- und Zukunftssuchende beim Versuch, eine Lebensperspektive zu bekommen, die Zähne ausbeißen. Menschen vegetieren dahin, warten und hoffen. Die Kontrolle über ihre Lebensführung ist ihnen entzogen. Unter den gegebenen Bedingungen, nämlich, dass du nur dann das Recht auf ein menschenwürdiges Leben hast, wenn Du den richtigen Pass hast und in der Folge Deine Arbeitskraft zu Markte tragen kannst, ist das unser aller Realität. Die Kontrolle über meine Lebensführung habe ich aktuell und bedingt nur, weil ich den richtigen Pass habe und auch einen Arbeitsplatz. Das kann sich schnell ändern. Rasse, Klasse, Nation heißt ein wirklich spannendes Werk von Immanuel Wallerstein und Étienne Balibar, das diese drei Kategorien zusammendenkt und zwar global. (Die wichtigste Kategorie, Geschlecht, haben sie leider „vergessen“.) Unser Wohlstand ist ihr Fluchtgrund. Also nicht in dem Sinne, dass unser Wohlstand sie anzieht, sondern, dass unsere Privilegien auf ihrer Unterprivilegiertheit gründen und dieses Ungleichgewicht ihre Länder verwüstet.

Die Klimakrise und die „Flüchtlingskrise“ sind zwei Seiten derselben Medaille. Dieselbe imperialistische und kolonialistische Haltung, die wir „fremden“ Ländern und Leuten gegenüber annehmen, haben wir der Natur gegenüber. Die Welt ist uns Kulisse für Phantasien, Wünsche und Bedürfnisse, sowie Ressource, die ausgebeutet werden kann und soll. Diese Position (im Sinne eines Verhältnisses zur Welt), die den Planeten verwüstet, ist jene der weißen, männlichen Subjektivität, die sich ins Zentrum setzt und die Welt (Pflanzen und Tiere), sowie subalterne Subjektivitäten (dazu würde ich in dieser Logik auch Frauen* zählen) sich unterordnet und kontrollieren will. Dieses Weltverhältnis muss zerstört werden, bevor es uns und alles andere zerstört. Folglich halte ich es für zwingend, mir dieser Zusammenhänge bewusst zu sein und mich in ihnen und durch sie zu denken. Ein Kreuzchen hilft da wenig. Wählen werde ich trotzdem. Aber dabei bleiben lassen kann ich es nicht.