MALMOE

Eigentum oder Faschismus

Reden wir über den Sozialismus. Notfalls auch mit der eigenen Familie. Das neue Buch von Sabine Nuss bietet eine gute Diskussionsgrundlage

Es ist eine traurige Tatsache, dass Faschist*innen Wahlerfolge in fast allen europäischen Ländern feiern, während Linke und Sozialdemokrat*innen Stimmen verlieren. In den Zeitungen finden sich Bilder von amtlich bestätigten Faschisten, wie dem AfD-Flügelmann, und in regelmäßigen Abständen Berichte über faschistische Gewalt auf den Straßen. Das hat alles nichts mit dem Eigentum zu tun? Aber ja, das Vertrauen in die Demokratie sinkt mit der Wahlbeteiligung, die Struktur politischer Parteien führt zu einem breiten Desinteresse an Politik und der Kapitalismus entzieht den Menschen die Existenzgrundlage. Die Preise steigen, ob für Lebensmittel oder Mieten, während die Löhne weiter sinken, damit „unser“ nationales Kapital sich nicht woanders eine billigere Arbeitskraft sucht. Der ideale Nährboden für Faschist*innen. Die können Menschen immerhin ein rassistisches oder antisemitisches Ticket anbieten und den Karren dann endgültig vor die Wand fahren.

In dem Kontext ist die Eigentumsfrage eine Sternschnuppe im Dunkel der Nacht. Ein guter Zeitpunkt also, das Buch Keine Enteignung ist auch keine Lösung von Sabine Nuss zu kaufen, um dann mit der Familie unter dem Christbaum „das mit dem Sozialismus“ endlich auszudiskutieren. Denn wenn selbst die Autor*innen der Zeit verrückt genug sind, dem Sozialdemokraten Kevin Kühnert Enteignung in den Mund zu legen, dann heißt es wirklich jetzt oder nie. Argumente liefert Sabine Nuss auf etwa hundert Seiten genug. Wobei es zweifelhaft bleibt, ob die besseren Argumente gewinnen. Schließlich schmeißen sich Liberale sofort auf den Boden und schreien Foul, sobald die Eigentumsfrage auf den Tisch kommt. Oder auch nur die Frage nach staatlichen Eingriffen in den Markt, die zum Ziel haben, die Grundbedürfnisse aller Menschen zu sichern und nicht die Profite zu steigern. Das würde dann nämlich nicht mehr geschehen. Und genau dieser Widerspruch zwischen den Grundbedürfnissen aller und den Profitinteressen einiger ist grundlegend für den Kapitalismus.

Auf zur Wiederaneignung

Inhaltlich schließt Nuss an die, von der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, losgetretene Debatte um den Berliner Wohnungsmarkt an. In den ersten drei Kapiteln stellt sie die Annahme bloß, dass das Privateigentum einfach vom Himmel fiel. Beschreibt dann die soziale Enteignung, die die Gegenseite ursprüngliche Akkumulation nennt, als gewaltvollen Akt und dampft schließlich Marx’ Kapital auf ein paar Seiten ein. Und jetzt zur Sache: Wiederaneignung. Klingt schon mal besser als Enteignung. Dann muss nur noch geklärt werden, wie wir das machen und was der Staat damit zu tun hat. Die Kurzfassung der Antwort: Am besten machen wir das im Großen wie im Kleinen selbst und halten den Staat aus der ganzen Sache raus. Grundsätzlich schlägt Sabine Nuss eine Planwirtschaft vor, eine kooperative Ökonomie, in der abgewogen würde „zwischen dem gesellschaftlich Gewünschten, dem Notwendigen und dem von den Ressourcen und dem Naturverbrauch her Möglichen.“ Es geht um eine Überführung von Privateigentum in gesellschaftliches Eigentum und dessen demokratische Selbstverwaltung. Der Staat als ideeller Gesamtkapitalist bleibt dabei außen vor. Machtvolle Beziehungen zwischen einzelnen Menschen werden dadurch jedoch nicht minimiert. Schließlich gilt es, die individuellen Bedürfnisse dem allgemeinen Interesse zu unterwerfen und „sich als Gesellschaft unter lebensfreundlichen Bedingungen zu reproduzieren.“ Und diese Debatte tut allen weh, die mit einem „weiter so“ gut leben können: Sozialdemokrat*innen, die vermeintliche Realpolitik betreiben und Enteignungen ins Reich der Fantasie verbannen wollen. Liberale, die bei Enteignungen die nächste Staatspleite wittern, da sie die Geschichte vom Äquivalententausch schon selbst glauben. Und gerade Berufspolitiker*innen, die bei der Vorstellung einer demokratischen Selbstverwaltung buchstäblich rotsehen.

Sabine Nuss (2019): Keine Enteignung ist auch keine Lösung. Die große Wiederaneignung und das vergiftete Versprechen des Privateigentums, Berlin