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MALMOE

Schöner leben ohne … ­Reihenhaus?

SchloR nennt sich das Projekt, das im 11. Wiener Gemeindebezirk eine progressive Vision von Lebens-, Arbeits- und Wohnraum verwirklichen will

Gaswerk, Mautner Markhof, Hygienezentrum, Fiaker-Pferdestall, Schrottplatz – egal, aus welcher Richtung man kommt, der Weg zur Rappachgasse 26 hat etwas von einer Erkundungstour. Wir gehen vorbei an ausrangierten Autos, an hallenartigen Gebäuden und hohen Zäunen, bis wir auf das Grundstück einbiegen, das bald „SchloR – schön3r leben ohne..“ gehören soll. Optisch unterscheidet es sich kaum vom semi-industriellen Ambiente in diesem Teil Simmerings. Durch eine breite Glastür blicken wir in einen Raum, in dem reges Leben herrscht. Leute tragen Tassen, Kuchenstücke auf Servietten und Folder herum. Eine rustikale Bar, ein Tisch mit Infomaterial und einige Sofas, die den Raum gemütlich machen. Das Besondere ist aber nicht nur, dass sich an einem Samstag im Februar ungewöhnlich viele Menschen auf einem eigentlich unbewohnten Grundstück tummeln, sondern auch, was hier in den nächsten Jahren entstehen soll. Aber der Reihe nach.

Vor etwa fünf Jahren hat eine kleine Gruppe an Menschen beschlossen, sich nicht mehr von Immobilienspekulation und künstlicher Wohnraumknappheit an der Nase herumführen zu lassen, sondern ihren Lebensraum nach den eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Am Grundstück in der Rappachgasse 26 will SchloR das nun verwirklichen. Zunächst war es den Mitgliedern des Kollektivs vor allem wichtig, ihren Lebensraum unabhängig von Hausbesitzer*innen, Vermieter*innen, aber auch politischem Gutdünken gestalten zu können und stattdessen einen langfristig abgesicherten, selbstverwalteten Raum zu schaffen. Bald war für die Gruppe klar, welchen Weg sie wählen will, um diese utopisch klingenden Vorstellungen umzusetzen: SchloR wurde Teil des habiTAT, eines solidarischen Zusammenschlusses von Hausprojektinitiativen in Österreich nach dem Vorbild des deutschen Mietshäuser Syndikats. Das Mietshäuser Syndikat wurde bereits 1983 gegründet, die österreichische Version gibt es seit 2014. Beide verfolgen das Ziel, Immobilien freizukaufen und so selbstverwaltete und bezahlbare Räume zu sichern.

Ein Rundgang über das Gelände

Um zu sehen, wie das in der Praxis funktioniert, haben wir uns für einen Lokalaugenschein nach Simmering begeben. Bei der zweiten Open-House-Veranstaltung von SchloR brechen wir gemeinsam mit anderen interessierten Besucher*innen zu einem Rundgang über das Gelände auf. Wir erfahren, dass SchloR mit dem derzeitigen Besitzer einen Vorvertrag abgeschlossen hat und man deshalb einen Teil des Geländes bereits jetzt nutzen darf. Nach dem für dieses Frühjahr geplanten Kauf stehen dann einige Umbauarbeiten an, um das Grundstück weitgehend umzugestalten. Das Grundstück ist als Betriebsbaugebiet gewidmet, weswegen ein Betriebskonzept entworfen wurde, das auch die Möglichkeit bietet, dort zu wohnen, nämlich in Betriebswohnungen. Die ansässigen Betriebe umfassen zwei Bereiche, zum einen Kreatives und zum anderen Training. Der Rundgang führt bald zu der 500 m2 großen Trainingshalle, die einen Großteil der Grundstücksfläche ausmacht. Hier trainieren derzeit bereits Akrobat*innen und Zirkuskünstler*innen, die Nutzung soll aber noch ausgeweitet werden. Zu einer Jahreszeit wie dieser, also Mitte Februar, ist es in der Halle jedoch ziemlich kalt, weshalb sie als erstes isoliert werden soll.

Danach geht es weiter mit dem zweiten Bereich im Betriebskonzept, dem Atelierdorf. Ein Teil des um die Halle gebauten L-förmigen Gebäudes wird aufgestockt werden, hier sind Ateliers, Werkstätten, Proberäume, Seminarräume, Büros und eine Gastroküche geplant. Die Infrastruktur soll möglichst vielen interessierten Nutzer*innen offenstehen, die sich kurz- oder langfristig einmieten können. Auf dem zweiten Teil der Liegenschaft wird ein unterkellerter Zubau mit Wohnmöglichkeiten in Form von Betriebswohnungen für etwa 18 Personen errichtet, die nicht nur gemeinsam dort leben, sondern auch die vor Ort entstehenden Betriebe organisieren und verwalten.

Das Grundstück in der Rappachgasse wird aber auch nach dem Kauf nicht den Bewohner*innen gehören, sondern der eigens eingerichteten SchloR GmbH. Diese Struktur folgt dem habiTAT-Modell, das Privateigentum zu Nutzungseigentum macht. Der Dachverband habiTAT ist als Gesellschafter mit 49 % beteiligt und hat ein Vetorecht bei einem etwaigen Verkauf der Immobilie. Wie das tägliche Zusammenleben organisiert wird und wie die Hausverwaltung funktioniert, entscheiden aber die Bewohner*innen, die im Hausverein von SchloR organisiert sind. Dadurch wird sichergestellt, dass sich SchloR, beispielsweise durch einen Verkauf des Grundstücks, nicht selbst bereichern kann.

Finanzierung über private Direktkredite

Ein Teil der Bewohner*innen steht schon fest, die Gruppe hat sich seit der Gründung von SchloR allerdings gewandelt. Manche sind abgesprungen, viele neu dazugekommen. Derzeit besteht die Gruppe aus zwölf Erwachsenen und einem Baby. Zwar kommen die zukünftigen Bewohner*innen aus unterschiedlichen Kontexten, was zum Beispiel politischen Aktivismus oder Lohnarbeit betrifft, alle haben jedoch gemeinsam, dass sie aktuell einen Großteil ihrer Zeit für das Projekt aufwenden. Denn zu tun gibt es einiges, von Finanztreffen über Entscheidungen zur Haustechnik bis hin zu regelmäßigen Plena. Neben allem Aufwand müssen die künftigen Bewohner*innen aber eins nicht selbst mitbringen, und das sind finanzielle Ressourcen. Die benötigten 1,5 Millionen Euro für den Kauf werden über Direktkredite von Privatpersonen aufgestellt, um sich möglichst unabhängig von Banken zu machen. Letztlich ist dennoch ein Bankkredit für die Realisierung des Projekts notwendig, die Gesamtkosten belaufen sich nämlich auf 3,8 Millionen. Das mag erst einmal kurios klingen – dieses Finanzierungsmodell bewährt sich in Deutschland im Rahmen des Mietshäuser Syndikats allerdings bereits seit den 1980ern, wo über 130 Wohnprojekte auf diese Art und Weise realisiert wurden. Bei unserem Rundgang in der Rappachgasse erfahren wir außerdem, dass es in Österreich immerhin zwei ausfinanzierte Projekte gibt, die aber nicht in der Bundeshauptstadt, sondern in Linz und Salzburg liegen. Aber auch in Wien gibt es ein zweites habiTAT-Projekt namens „Bikes and Rails“, das im Sonnwendviertel in Favoriten einen Neubau errichtet – ein Novum im habiTAT.

Als wir die Rappachgasse bei Einbruch der Dunkelheit verlassen, herrscht noch reger Betrieb, eine weitere Gruppe macht sich zu einem Rundgang auf. Die SchloRs scheinen zufrieden mit dem Interesse der Besucher*innen, auch ein paar Nachbar*innen und Initiativen aus dem Bezirk haben ihnen einen Besuch abgestattet. Gerade, dass die Menschen aus der näheren Umgebung das Projekt kennenlernen, ist ein Anliegen von SchloR. Denn in Simmering wurde die FPÖ bei der Gemeinderatswahl 2015 mit satten 42,9% stimmenstärkste Partei. Ein Grund mehr, dass progressive Gesellschaftsentwürfe verwurzelt werden und sich ein Projekt etabliert, das sich gegen politische Hetze und Willkür stellt