MALMOE

Am Beispiel der ­Anatolischen ­Föderation

Migrantische Linke als „Versuchskaninchen“ der österreichischen Justiz

Ganze fünf Tage nahm sich die österreichische Justiz Zeit, um zu verhandeln, ob sich fünf Vorstandsmitglieder und ein dem Verein Anatolische Föderation Österreich nahe stehender Aktivist der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig gemacht haben. MALMOE war für euch beim Prozess.

Die Staatsanwaltschaft sieht in der Anatolischen Föderation (Afa) den legalen Arm der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) und diese wird, wie auch die PKK, von der EU als Terrororganisation gelistet. Unter anderem wird der Afa und ihren Unterstützer*innen vorgeworfen, dass sie auf der 1.Mai-Demonstration 2015 Bilder von Märtyrer*innen der DHKP-C hochhielten, während sie in einer mit der DHKP-C assoziierten Uniform marschierten. Am 12. März verurteilten zwei Richterinnen und zwei Schöffinnen am Wiener Landesgericht für Strafsachen schließlich zwei der Angeklagten zu 16 Monaten bedingt und eine weitere zu 20 Monaten bedingt. Außerdem kam es zu einem Freispruch im Zweifel, gegen den die Staatsanwaltschaft allerdings noch Berufung einlegen kann. Doch auch die Verurteilten haben bereits eine Berufung angekündigt.

Terrorismus vor Gericht?

Die Afa versteht sich als antirassistischer und antifaschistischer Verein von Migrant*innen aus der Türkei und deren Sympathisant*innen. Es werden gemeinsam Konzerte besucht, Fußballturniere organisiert oder auch Informationsveranstaltungen zum Mietrecht angeboten. Hinter dieser legalen Vereinstätigkeit vermutet die Staatsanwaltschaft jedoch Unterstützungs- und Propagandahandlungen für die auf der EU-Terrorliste stehende DHKP-C. Die Zielsetzung des österreichischen, wie auch des europäischen Gesetzgebers, wird deutlich: den Terrorismus an der Wurzel packen und mit Stumpf und Stiel ausrotten. Im Gerichtssaal selbst nimmt diese Wurzelbehandlung absurde Züge an. Warum blättert die Richterin mit Zeug*innen in der in Österreich legalen Zeitschrift Yürüyüs und lässt sich von ihnen Textpassagen daraus übersetzen? Weshalb interessiert sie sich dafür, wer die Tickets für ein Konzert der linken Band Grup Yorum verkauft hat? Woher kommen die Zweifel der Richterin daran, dass Menschen selbst dazu in der Lage sind, sich die auf der 1. Mai-Demonstration 2015 getragenen olivgrünen Hemden bei C&A zu besorgen? In all dem vermutet die Justiz eine Verbindung zur DHKP-C. Der Verkauf der Zeitung diene der Terrorismusfinanzierung, die Band verherrliche in ihren Texten Attentate und auf der Demo marschierten Uniformierte mit hochgehaltenen Bildern von Terrorist*innen. Damit erschöpfen sich scheinbar die vorgeworfenen Unterstützungs- und Propagandahandlungen für die DHKP-C. Das ist bereits die Grundlage der Anklage für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 278b. Das Kollektiv prozess.report hält fest, „dass zum ersten Mal in Österreich linke Aktivist*innen wegen des Vorwurfs der Terrorismusunterstützung vor Gericht stehen.“ 1https://prozess.report/prozesse/zwischenberichtafoe/

Alles was uns fehlt

Damit stellt sich für linke Gruppen in Österreich die Frage, wie sie sich dazu verhalten. Wie können temporäre Allianzen gebildet werden, die allen bestehenden Widersprüchen zwischen den unterschiedlichen linken Gruppen Raum geben? Üblicherweise wird in diesem Zusammenhang ein Begriff von Solidarität bemüht, der sich oft genug als inhaltsleere Phrase entpuppt. Menschen, die Antirepressionsarbeit leisten, kennen das Problem. Mahriah von prozess.report übersetzt Solidarität mit dem Spruch „Gemeint sind wir alle“. Eine Identifikation sei bei Prozessen gegen weiße Antifaschist*innen, wie etwa im Fall Josef, für die Mehrheit der österreichischen Linken einfacher. Doch es geht um mehr. Schließlich leben wir in einer Gesellschaft, die auf gewaltvollen Herrschaftszusammenhängen beruht. „Es ist unser Anliegen bei prozess.report, aufzuzeigen, dass gesellschaftliche Verhältnisse im Gerichtssaal nicht aufhören. Dort finden die gleichen Diskriminierungen statt“, so Mahriah. Und es macht nun mal einen riesigen Unterschied, ob du dir teure Anwält*innen leisten kannst oder nur eine Pflichtverteidigung, die maximal zu den Gerichtsterminen kommt und dann vielleicht lieber Candy Crush spielt, als Entlastungszeug*innen zu laden. Doch auch Schriftführer*innen oder Verfassungsschutz beeinflussen die Stimmung im Gerichtssaal und eine schwerbewaffnete WEGA lässt noch jede*n Angeklagte*n gefährlich wirken. Dazu kann eine kritische Öffentlichkeit ein Gegengewicht herstellen. Wichtig findet Mahriah deshalb „Solidaritätsgruppen, die eine Kritik am bürgerlichen Staat, am Justizsystem einbringen, und den politischen Kontext eben nicht vernachlässigen.“

Zum Lachen bitte vor die Tür gehen

Hatime, Mitbegründerin der Afa und selbst angeklagt, sieht in der Repression gegen den Verein den konkreten Versuch, eine Entsolidarisierung mit den Angeklagten zu bewirken. Mit vermeintlichen Terrorist*innen in Verbindung gebracht zu werden, ruft Ängste bezüglich des Jobs, des Aufenthaltstitels oder möglicher Auswirkungen auf das private Umfeld hervor. Dementgegen entsteht ein fast schöner Moment des Zusammenhalts im Gerichtssaal, als ein vermeintlicher Belastungszeuge auf die Frage, ob er die Angeklagte kenne, antwortet: Natürlich kenne ich sie, sie ist meine Tante, also ich mag sie, ich hab sie sehr gern. Es folgt eine Erklärung des Zeugens zur Verwendung der Wörter Tante und Onkel im nicht-familiären Sinn, was lautes Gelächter im Publikum hervorruft. Grund genug für die Richterin einigen Personen mit dem Rauswurf zu drohen. „Vordergründig“, sagt Hatime, „wird der Prozess zwar gegen die Anatolische Föderation geführt, aber es geht um viel mehr. Es geht um Ideen und Meinungen, die viele von uns haben. Deswegen ist die Solidarität extrem wichtig.“