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MALMOE

Ein Weg aus der Sackgasse?

Eine „Streitschrift für eine ­politisch unkorrekte Links-Linke“ versucht einen solchen aufzuzeigen

Verlaufen sich Linke in den immer gleichen Sackgassen? Vielleicht liegt der Ausweg darin, die besonderen Identitäten zu verallgemeinern und in eine neue Gemeinsamkeit zu überführen.

Die im Juni erschienene Broschüre der Edition Tsveyfl #2 konstatiert den gegenwärtigen Zustand der Linken als einen des Verharrens in alten Denk- und Handlungsschemata, deren Wirkungslosigkeit zwar ebenso offensichtlich wie bekannt ist, die deswegen aber nicht verworfen, sondern nur mit noch mehr Engagement propagiert werden. Warum dem so ist, und wie die Ohnmacht überwunden werden kann, die ebenso Grund wie Folge der Resistenz gegen ein Umdenken ist, ist die zentrale Frage der Broschüre.

Verlasse die Bubble!

Der Autor namens Atta Boy zeigt in 17 Absätzen, die je mit einer Art Catch Phrase eingeleitet werden, wo und warum altbekannte Strategien und Taktiken daran gescheitert sind, die sich verändernden gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse zu erfassen und diesen wirksam etwas entgegenzusetzen. Warum dieses Scheitern deutlich ernster genommen werden muss, als es in den immer selben resignativen Aussagen zwar festgehalten, aber ebenso schnell als konkretes Problem wieder verworfen wird, hält eine Catch Phrase zu Beginn fest: „Zu lange folgenlos Recht haben, offenbart sich irgendwann als ein Unrecht ganz eigener Art!“

Darüber hinaus dreht es sich bei den meisten Debatten mehr um moralisierte Rechthaberei. Dies wird als ein spezifisches Problem einer Linken benannt, die sich längst in einheitliche Milieus und subkulturelle Strukturen zurückgezogen hat und sich folglich kaum wundern darf, keinen Einfluss mehr auf jene materiellen Verhältnisse zu haben, von denen sie sich längst abgewandt hat. Diese Dynamik parallelisiert die Broschüre mit der neuen Rede über „Bubbles“, die nicht nur als ein digitales Phänomen entziffert werden. Hierbei geht es dem Autor einerseits um die Blindheit für Lebensrealitäten außer­halb der je eigenen Peer Group, andererseits um Fragen des Denk- und Sagbaren. Fatalerweise bleiben sowohl die eigene Lebens­realität wie auch der persönliche Denkhorizont abhängig von den „Bildern des liberal-demokratischen Blocks“ und können somit nie über diesen hinausweisen. Was entstehe seien „Politiken der gruppenbezogenen Befindlichkeit“, die zwar Erfolge bei der Etablierung „formal richtiger Adressierungen, Sprachcodes und Gesten“ erzielen konnten, damit aber den politischen Gehalt von Fragen der Adressierung transformiert hätten in Expert*innenwissen und -debatten, die die konkreten Zumutungen einer „sozial-räumlich hierarchisierten“ Realität unangetastet lassen.

Daraus entsteht eine Art „Intersektionalitätsarithmetik“, also eine „akademische Form der Versicherungsmathematik zur Bestimmung von Unterdrücktenstatus“, in der Solidarität durch Identität ersetzt wird und nicht mehr in der Lage ist Gemeinsamkeiten herzustellen, sondern diese immer voraussetzen muss. Statt sich auf diese Arithmetik einzulassen, gälte es vielmehr „neue politische Subjektivitäten zu schaffen“. Dazu gehöre wesentlich ein verändertes intersubjektives Handeln, das entscheidend vom „verständnisorientierten Zuhören“ geprägt ist und die Differenzsensibilität nicht als Selbstzweck versteht, sondern als Basis für „die Infragestellung jener gesellschaftlichen Hierarchien, die sie hervorbringen“.

Neue Gemeinsamkeiten ermöglichen

Als Beispiel für die Befreiung vom Selbstzweck vermeintlich korrekter Bezeichnung schlägt der Autor vor, sich jene titelgebenden rechten Kampfbegriffe anzueignen: „Links-Linke“ könnte so in Abgrenzung zu „links-liberal“ verstanden und genutzt werden, während „politisch unkorrekt“ sich gegen das in Wahrheit hochmoralisch aufgeladene rechte Weltbild selbst richten und es als solches entlarven könnte. Die besondere Rolle von Minderheitenpositionen innerhalb dieses Konzepts bestünde nicht darin, Identitäten gewissermaßen unter Diversity-Artenschutz zu stellen, sondern deren „Chance zur Verallgemeinerung“ in den Mittelpunkt zu stellen, insofern „sie auf reales, aber erst zu verwirklichendes Potential zugreifen“. Damit könnten dann die unendlich vielfältigen Möglichkeiten von Gemeinsamkeiten erkennbar gemacht werden.

So weit, so gut, unklar bleibt aber, ob die kritisierten linken Praktiken schlicht auf falsche Strategie-Entscheidungen zurückzuführen sind, oder in ihrem Kern auf ein falsches Verständnis der Wirklichkeit verweisen. So wird zwar in der Broschüre gezeigt, dass und inwiefern (neu-)rechte Theoretikerinnen ausgerechnet auf Antonio Gramsci Bezug nehmen, aber nicht, warum ausgerechnet dieser linke Posterboy so anschlussfähig für rechte Positionen und Ideen ist. Das vermindert allerdings nicht die Relevanz der Broschüre und der so dringenden Diskussion, die sie anstoßen möchte.

Atta Boy – Streitschrift für eine politisch unkorrekte Links-Linke ist über „Syndikat“ den anarcho-syndikalistischen Medienvertrieb zu beziehen (www.syndikat-a.de).