MALMOE

Gespenstische Lächlerinnen

Die aktuell erfolgreiche PolitikerInnen-Generation erscheint zuweilen wie ein reines Oberflächenphänomen, für das voll­kommen zu Recht Worte wie „aalglatt“ oder „Teflon“ benutzt werden. Dafür scheint es gewisse mediale Gründe zu geben, die keinesfalls akzeptiert werden sollten.

Die Physiognomie unserer Zeit ist das lächelnde Gesicht, hinter dem keinerlei Freude lebt. Ganz gleich ob junge ProfifußballspielerInnen oder NachwuchspolitikerInnen, alle treten der Öffentlichkeit meist nur mehr gegenüber, wenn sie zuvor eine eingehende Medienschulung erhalten haben. Dies hat weitgehende Konsequenzen. Das Gesicht kann „Fenster zur Seele“ einzig dann sein, wenn sich auf seiner Oberfläche das Drama der eigenen, inneren Bewegtheit abspielen darf. Wer muss nicht unwillkürlich lachen, bei dem Gedanken, dass das stets zuversichtlich lächelnde Gesicht von Bundeskanzler Sebastian Kurz in irgendeinem Zusammenhang zu seiner aktuellen Gefühlslage stünde? Selbstverständlich nicht. Kurz wird sich hüten, etwas „rauszulassen“. Die überall vollzogene Einschulung in die medialen Masken ist längst so umfassend, dass natürliche Reaktionen in der medialen Vermittlung auf dem Bildschirm eigenartig irritieren und deswegen unterdrückt werden.

Masken für die Masse

Diese ausgefeilte mediale Schulung wird belohnt. Personen, die vor einigen Jahren noch wie ein ausgeblasenes Ei erschienen wären, auf das ein Abziehbildchen geklebt wurde, werden vom Publikum heute als „sympathisch“ und „vertrauenserweckend“ bezeichnet. Sie sind es aber nicht und im Grunde spüren das auch alle. Folglich bedarf es der umsichtigen und umfassenden Inszenierung. Längst haben beispielsweise Emmanuel Macron und Sebastian Kurz ihren Kabinetten verboten, sich spontan öffentlich zu äußern. Jeder Auftritt muss vorab sorgfältig gescriptet werden. Durch diese immer mehr ausgearbeiteten medialen Inszenierungen wächst der Spalt zwischen einstudierter Emotionssimulation und verborgener innerer Regung. Als direkte Folge daraus bekommen die Auftritte von SpitzenpolitikerInnen zunehmend eine gewisse gespenstische Note.

Die Masken werden selbstverständlich dem Anlass entsprechend angepasst. Ein Schistar hat gewonnen: Begeisterung. Besuch einer Beerdigung: Betroffenheit. Ein schlimmes Verbrechen wurde aufgedeckt: Energischer Ernst, der Entschiedenheit ausdrückt. Wohlgemerkt, gelogen haben PolitikerInnen schon immer, nur mussten sie es nicht mit vollem Körpereinsatz tun. Dies wurde erst durch die pausenlose mediale Begleitung nötig. Die vom Medium und für das Medium zurechtmanipulierten Leiber spiegeln nun dem Publikum die jeweils angemessene und von ihnen erwartete Reaktion, bleiben dabei aber innerlich abgespalten. Eine sichtbare Emotion könnte grundsätzlich auf die innere Anteilnahme verweisen und damit eine persönliche Bindung erlauben. Aber genau die soll unbedingt verhindert werden.

Mediale Notwendigkeiten

Aus zwei Gründen ist dies für die heutige PolitikerInnengeneration wohl nötig. Zunächst ist eine persönliche Bindung das Letzte, was SpitzenpolitikerInnen brauchen können, weil daraus eine Verantwortung erwächst, die enorm hinderlich wäre. Minütlich kann sich eine politische Konstellation ändern, neue Allianzen erfordern und frühere Versprechen müssen gebrochen werden. Wenn Zusagen ohne innere Anteilnahme erfolgt sind, dann ist dies sicherlich praktisch. Darüber hinausgehend leben PolitikerInnen ständig in Sorge vor den medialen Schnipseln früherer Auftritte, die ihnen unter die Nasen gerieben werden könnten. Wenn dabei eine echte Festlegung mit der Kamera eingefangen wird, also quasi eine Zusage „mit Leib und Seele“, dann wirkt diese später – selbst wenn sie eingehalten wurde – irgendwie seltsam und leicht lächerlich, einfach weil sie medial aus dem Zusammenhang gelöst wurde und auch weil man das heute nicht mehr so macht. Ein Kommunikationsmodell hat sich eingebürgert, in dem PolitikerInnen nie sagen, was sie meinen, und nicht meinen, was sie sagen. Jede „Sozialversicherung“ muss bereits an dieser Stelle zerbrechen, denn wie soll es Sicherheit ohne soziale Beziehung geben?

Die gespensterhafte Erscheinung von medial geschulten PolitikerInnen korrespondiert fatal mit einem autoritären Charakter. Dieser wünscht nämlich den Schauder vor der „Autorität“. Zwar wird lauthals gefordert, PolitikerInnen sollen gefälligst tun, was von ihnen verlangt wird, dabei wird aber die Zurückweisung durch Nichterfüllung insgeheim erwartet. Die „unten“ sind, wünschen sich von „oben“ keine echte Reaktion, denn die wäre beunruhigend. Hätte das Klagen spürbare Konsequenzen, dann wäre die bestehende Ordnung aufgehoben. Das geht einem autoritären Charakter gegen den Strich, denn wer sich lange einer Hierarchie unterworfen hat, wünscht deren Beibehaltung. Somit bedient die rein äußerliche Spiegelung der geforderten Emotion, bei gleichzeitiger innerer Teilnahmslosigkeit, das Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten passgenau.

Bleiben wir bei der Sache

Unterworfen wird sich immer unter etwas, das nicht verstanden wird. Und hier läge auch der Ausgang aus dieser politischen und psychologischen Misere. Im Grunde können mündige BürgerInnen die PolitikerInnen, von denen sie im wahrsten Sinne des Wortes abgespeist werden, mit einem simplen Kniff zur Weißglut bringen. Sie müssten immer wieder beharrlich fragen: „Wie meinen Sie dies genau?“ Damit könnte eine Art tiefenpsychologische Friedensarbeit in Gang gesetzt werden, die die medial bedingte Spaltung nicht mehr akzeptiert. Der Manipulation des Scheins, der sagt „ich bin eh bei der Sache“, müsste dauernd widersprochen werden: „Nein, sind sie nicht, Herr Kurz, sie sagen nur das, von dem sie glauben, dass es die meisten jetzt hören wollen und was nachher im Fernsehen gut rüberkommt.“ Die Wahrheit darf man sich allerdings an dieser Stelle von den PolitikerInnen nicht erwarten, aber zumindest sollten sie zur persönlich verbürgten Lüge genötigt werden. Dann macht das Abwählen beim nächsten Urnengang auch wieder richtig Spaß.