MALMOE

Wie geht feministische Kritik?

Feminismus ist in die Herstellung scheinbar eindeutiger Differenzen verstrickt – einem zentralen Werkzeug der Herrschaft. Sabine Hark und Paula-Irene Villa stellen die richtigen Fragen.

Wenn sich mit Sabine Hark und Paula-Irene Villa zwei bekannte Professorinnen der deutschsprachigen Geschlechterforschung zusammentun, um einen Essay zu den Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart vorzulegen, darf die Leserin mit Recht gespannt sein. Ausgangspunkt sind die öffentlichen Debatten nach den Übergriffen der Silvesternacht in Köln 2015/2016 und das Dilemma, mit dem sich viele Feministinnen konfrontiert sahen: frauenfeindliche Gewalt thematisieren und damit eine rassistische Diskussion befeuern? Schweigen, wenn – endlich! – sexualisierte Übergriffe im Mainstream zum Thema werden? Eindeutige Antworten auf die Frage nach der richtigen feministisch-antirassistischen Position liefern die Autorinnen nicht – wohl aber viele Anstöße, die eine breitere Reflexion über das „Ereignis Köln“ im Kontext der langen feministischen Auseinandersetzung mit machtvollen Differenzen erlauben.

„Im Zweifel für den Zweifel“ (27), so charakterisieren Hark und Villa ihre eigene Haltung, mit der sie der „Versämtlichung“ (49), der Vereindeutigung von Unterschieden entgegentreten. Eine Haltung, die das Buch prägt und die die Autorinnen schon im ersten Kapitel danach fragen lässt, womit wir es eigentlich zu tun haben, wenn wir „Köln“ als den Namen für „ein Ding von Belang“ annehmen. Von Belang ist „Köln“, weil es weit über die tatsächlichen Geschehnisse hinaus Bedeutung entfaltete, weil der Name nicht nur für die Übergriffe dieser Nacht steht, sondern u.a. auch für die vielfältigen medialen Reaktionen, für unterschiedliche Deutungen in privaten, öffentlichen und wissenschaftlichen Diskursen, für polizeiliche und gesetzgeberische Maßnahmen. Das zweite Kapitel lässt sich als Bestandsaufnahme wissenschaftlicher und feministischer Auseinandersetzungen mit rassistischer „Veranderung“ (37) und mit der Schaffung einer „moralisch aufgeladenen Wir-Sie-Unterscheidung“ (36) verstehen. Hier wird eine der großen Stärken des Buches deutlich: Trotz der vielen (teils sehr komplexen) theoretischen Konzepte, die angeführt werden und mit denen sich die Autorinnen in der wissenschaftlichen Debatte verorten, bleibt der Text stets zugänglich und konkret. Da wollen zwei nicht ihr – ohne Zweifel beeindruckendes – Wissen zur Schau stellen, sondern die Werkzeuge der Reflexion sortieren und schärfen. Um aus den vielen angesprochenen Aspekten nur einen herauszugreifen: Ihre Überlegungen dazu, Gefühle als Ergebnis, Mittel und Basis von politischen Machtverhältnissen zu betrachten, eröffnen einen gerade auch für feministische und antirassistische Aktivist_innen wichtigen Denkraum. In Kapitel drei wird es schließlich konkreter. Hier stehen Bilder mit ihrer Funktion der Konstruktion von Wirklichkeit – konkret die Titelseiten von Zeitungen und Zeitschriften und deren Reproduktion rassistischer und sexistischer Deutungen – im Mittelpunkt. Die reißerischen Cover werden dabei in Überlegungen zu Körperpolitiken eingebettet. Stichworte sind hier die Sexualisierung nicht-weißer Männer oder die Debatten um die Kleidung muslimischer Frauen. Richtig zur Sache – zum Feminismus nämlich – geht es dann in Kapitel 4 (zuvor wurden die Kapitelnummern ausgeschrieben), das gleich zu Beginn daran erinnert, dass „Feminismus ein kontroverses Feld […] und immer schon mehr und anderes war als Alice Schwarzer“ (79) und ihr anti-muslimischer Rassismus. Folgerichtig werden solche Positionen und die aktuellen rechtspopulistischen Aneignungen von Feminismus dann auch mit feministischen Überlegungen kritisiert. Wie wäre nun aber Feminismus zu „entgiften“ (92), zu „dekolonialisieren“ (96)? Patentrezepte liefern Hark und Villa nicht, sie können aber Anknüpfungspunkte an das „unzweifelhaft voraussetzungsvolle und oft auch schwierige politische, intellektuelle und emotionale Erbe“ (100) des Feminismus der zweiten Welle aufzeigen. Die letzten beiden Kapitel sind schließlich der Reflexion gewidmet. Zunächst sprechen die Autorinnen in Dialogform – miteinander, aber auch mit den Leser_innen – über das Buch, über Leerstellen, Hoffnungen und Zweifel. Ein abschließender Epilog verdichtet einige dieser Überlegungen in Bezug auf jene Haltung, die die Autorinnen als „Denken in Differenz“ (121) bezeichnen.

Insgesamt ein dichter, aber gut zu lesender Text, der „Köln“ zum Ausgangspunkt einer Zusammenschau aktueller feministisch-antirassistischer und dekolonialer Debatten macht und gekonnt neue und ältere (darunter viele deutschsprachige) Ansätze verbindet.

Sabine Hark, Paula-Irene Villa: Unterscheiden und herrschen. Ein Essay zu den ambivalenten Verflechtungen von Rassismus, Sexismus und Feminismus in der Gegenwart. Transcript Verlag, Bielefeld 2017