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MALMOE

Das Recht, Rechte zu haben

Anmerkungen zum Werk von Seyla Benhabib

Der von Hannah Arendt geprägte Ausdruck „das Recht, Rechte zu haben“ („the right to have rights”) ist in unterschiedlichen Schriften Seyla Benhabibs enthalten und weist auf eine neue Interpretation der Menschenrechte in Benhabibs Denken hin: Recht besteht darin, dass jedes Individuum den Anspruch hat, von der Weltgemeinschaft als eine Person anerkannt und geschützt zu werden. Darin besteht die Grundlage aller weiteren Rechte. Diese Rechte haben aufgrund der unterschiedlichen Abkommen zum Schutz der Menschenrechte (beginnend mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948) tiefgreifende Änderungen erfahren. Aufgrund der zahlreichen und tiefgehenden Modifikationen der Menschenrechte sind die Rechte der Individuen und der Instanzen, die diese anerkennen sollen, weder in den einzelnen Staaten noch im Rahmen der Verträge zwischen den einzelnen Staaten auch nur so weit ausreichend bestimmt, dass sie gebührlich verstanden werden können. Die neue Dimension der Menschenrechte ist vielmehr eine kosmopolitische, welche jene der nationalen Staaten übertrifft, die Erschaffung neuer juristischer Räume zugleich fördert und erfordert und die Individuen nicht mehr lediglich als BürgerInnen eines bestimmten Staates erachtet, sondern sie zu WeltbürgerInnen erhebt. Die kosmopolitischen Normen erschaffen ein Universum von Werten und sozialen Verhältnissen, die vor der Schöpfung dieser Normen nicht existierten. Seyla Benhabib hat in verschiedenen ihrer Forschungen wie zum Beispiel The Rights of Others. Aliens, Residents and Citizens, Another Cosmopolitanism und Dignity in Adversity. Human Rights in Troubled Times dieses allmähliche Entstehen einer neuen kosmopolitischen Konstellation des Rechtes zum Ausdruck gebracht.

Ein neues Recht für Weltbürger­Innen entsteht

Diese neue Dimension des Rechtes verbindet nach Benhabibs Auffassung jedes Individuum direkt (d. h. ohne Vermittlung seitens eines Staates) mit der Weltgemeinschaft. Sie hängt somit nicht vom Einzelstaat ab und ist nicht auf die Geltung innerhalb eines Einzelstaates limitiert: Der konzeptuelle Referenzpunkt für zumindest bestimmte Rechte des Individuums ist die Weltgemeinschaft. Die Rechte des Menschen qua Mensch, d. h. die Rechte, die nicht von der besonderen Staatsangehörigkeit abhängen, kommen allmählich zutage, obwohl – wie auch von Benhabib betont – dieses Zustandekommen auch von Rückschlägen begleitet wird. Indem die Staaten zum Schutz der Menschenrechte die ursprüngliche Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ergänzt haben, billigten sie, laut Benhabib, zugleich die Entwicklung hin zu einer Art „WeltbürgerInnenrecht“. Die entscheidenden Abkommen sind im Einzelnen: das Übereinkommen über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948, das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 (die Genfer Flüchtlingskonvention), der internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966, der internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966, das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Frauenkonvention) von 1979.

Durch diese neu entstehende Rechtskonstellation werden die einzelnen Staaten als Behörden von der Weltgemeinschaft übertroffen und konstituieren nicht mehr die letzte Instanz zur Anerkennung der Rechte. Dementsprechend besitzen die Individuen bestimmte Rechte allein deswegen, weil sie Menschen sind, also als der Menschheit angehörende Lebewesen. Der Besitz von bestimmten Rechten ist somit nicht mehr auf die Angehörigkeit der Individuen zu einem bestimmten politischen Gefüge zurückzuführen, sondern auf die Angehörigkeit der Individuen zur Menschheit.

Das Recht auf Integration

Nach Benhabibs Auffassung besteht eine grundlegende Differenz zwischen dem westfälischen und dem postwestfälischen Begriff des Staates und des Rechtes. Innerhalb der westfälischen Interpretation der Rechte bilden die Staaten die letzte Instanz bezüglich der Macht und der Anerkennung von Rechten. Innerhalb der Auffassung, die den kosmopolitischen Rechtszustand kennt, hängen die Staaten von gemeinsamen Werten und Prinzipien ab und verpflichten sich zur Beibehaltung und zum Schutz dieser Prinzipien. Das bedeutet, dass die Staaten anerkennen, dass gewisse Rechte und Prinzipien über ihrer eigenen Souveränität stehen. Eine neue Dimension der Rechte als Menschenrechte wird eingeführt, als Rechte, welche dem Menschen qua Mensch gebühren und nicht dem Menschen als Bürgerin und Bürger eines bestimmten Staates zustehen. Zugleich tritt jetzt das Individuum als Person auf, welche der Weltgemeinschaft angehört und nicht mehr ausschließlich einem staatlichen Gefüge. Die Weltgemeinschaft wird neben den Staaten zu einer eigenen Rechtsbehörde und Rechtsinstanz. Diese neuen Dimensionen der Rechte, des Individuums und der Rechtsbehörden entsprechen einander und entwickeln sich gemeinsam.
Vom Recht, Rechte zu haben, ist auch ein Recht auf Integration ableitbar. Benhabib drückt hier ihre eigenen Positionen bezüglich des Themas „Integration“ aus. Für sie besteht eine unabdingbare Voraussetzung für die Förderung der Integration innerhalb eines Staaten darin, dass die Staatsbürgerschaft nicht von der Angehörigkeit zu einer Ethnie abhängig gemacht wird. Es soll vielmehr zwischen „Demos“ als politischem Gefüge und „Ethnos“ unterschieden werden, wobei die Angehörigkeit zum „Demos“ nicht starr ist, sondern immer wieder von der politischen Entscheidung modifiziert und erweitert werden kann. Wird die Angehörigkeit zum „Ethnos“ als Kriterium für die Angehörigkeit zu einem Staat gewählt, werden all die Individuen ausgeschlossen, die in ein Land, aus welchem Grund auch immer, eingewandert sind und möglicherweise in ihren Herkunftsländern zur Auswanderung gezwungen worden sind. Einem „Ethnos“ kann nicht beigetreten werden, er bildet somit ein geschlossenes Gefüge, das zum Ausschluss von „fremden“ Personen verwendet wird. Wenn dieses Konzept die Grundlage der Anerkennung der Staatsbürgerschaft bildet, sind die Exklusion und die Marginalisierung von bestimmten Individuen und von bestimmten Gruppen die notwendige Konsequenz.

Demos statt Ethnos

Das Konzept „Demos“ gehört einer alternativen Ideenordnung an, da die Grenzen des „Demos“ innerhalb des politischen Diskurses immer verändert werden oder zumindest verändert werden können. Es bildet gegenüber „Ethnos“ ein flexibles Konzept, das modifiziert werden kann. Benhabib bietet hier eine Art Bewertungsinstrument an: Parteipolitische Programme, welche ein Konzept wie „Ethnos“, Synonyme von „Ethnos“ oder auch nur Konzepte, welche mit „Ethnos“ verwandt sind, als ihren Grundsatz vorschlagen, verfolgen eine Politik der Exklusion. Mit ihrer Konzeption der „Einbürgerungspflicht“ bezieht sie hier eine sehr deutliche Position: Eine demokratische Ordnung darf sich nicht erlauben, dass Gruppen innerhalb des Staates vom Erwerb der Staatsbürgerschaft für immer ausgeschlossen bleiben. Jedwede Art von ewigem Ausschluss aus der Staatsbürgerschaft ist mit einer demokratischen Grundordnung inkompatibel. Benhabib plädiert in ihren Schriften für ein jus soli als Grundlage der Gewährung und Anerkennung von Staatsbürgerschaft und spricht sich dementsprechend gegen das jus sanguinis aus.

Abschließend ist es nützlich, darauf hinzuweisen, dass Benhabib bezüglich allgemein umfassender Konzepte wie „Kultur“, „Identität“, „Zivilisation“ eine Art flexible Deutung befürwortet, in dem Sinne, dass weder Kulturen, noch Identitäten, noch Zivilisationen starre, gleichbleibende und unveränderliche Gefüge bilden. Vielmehr besitzen sie eine Dynamik und werden kontinuierlich modifiziert. Benhabib folgt dem festen Grundsatz, dass kein Individuum als Geisel einer Kultur gelten darf. Eine Kulturform gehört zwar dem Individuum, aber kein Individuum gehört einer Kulturform. Dementsprechend kritisiert Benhabib all die Auffassungen, welche für eine Art von Kulturessentialismus und Kulturreduktionismus Partei ergreifen. Das Individuum behält immer eine Selbständigkeit und eine Autonomie im Verhältnis zu jener Kultur bei, in der es aufgewachsen ist. Ein Individuum darf ferner nie auf eine einzige Kulturform reduziert werden, als ob die Kulturform das Individuum in all seinen möglichen Verhaltens- und Denkweisen determinieren würde. Jedes Individuum ist mehr als die Kultur der es angehört.

Seyla Benhabib: „Situating the Self: Gender, Community and Postmodernism in Contemporary Ethics“, Routledge, New York 1992

Seyla Benhabib: „The Claims of Culture: Equality and Diversity in the Global Era, Princeton University Press, Princeton, New Jersey 2002

Seyla Benhabib: „The Rights of Others: Aliens, Residents and Citizens“, Cambridge University Press, Cambridge 2004