MALMOE

Nachrichten aus dem beschädigten Alltag

Wer seinen Alltag schadlos überstehen möchte, muss sich zuweilen kuriosester Nachrichten und seltsamster Begegnungen erwehren. Diese Kolumne versucht, beim Weg durch den täglichen Irrsinn zu helfen.

Erspar dir was

In unserer Überflussgesellschaft sind materielle Geschenke schon lange out wie Käseigel. Frau und Mann von Welt schenkt heute „Erlebnisse“. Thermengutschein, Paragliding-Wochenende, S-Bahn-Surfkurse und dergleichen mehr. Aber – seien wir uns ehrlich – den meisten wohlstandsverwahrlosten Endverbraucher:innen ist das schon viel zu viel des Guten. Deswegen die Top-Idee insbesondere für gestresste Eltern und Social Butterflys: „Erspar Dir was“-Gutscheine. Dieser Negativ-Erlebnis-Gutschein kann flexibel eingesetzt werden, bei Familien- oder Firmenfeiern, bei Outdoor-Events oder auch einfach bei Geburtstagsfeiern von „allerbesten“ Freund:innen. Die glücklichen Besitzer:innen des Gutscheins rubbeln einen einmalig zu verwendenden Bar-Code frei, scannen diesen bequem mit dem Smartphone, geben die Daten des Events ein und eine High-Quality-Person der „Erspar Dir Was“-Agentur nimmt statt ihnen an der Veranstaltung teil. Das geschulte Personal ist speziell darauf trainiert das Fernbleiben der Gutscheinbesitzer:innen für alle Beteiligten unbemerkbar bleiben zu lassen. Sie dürfen daheimbleiben und mal einen ruhigen Abend oder ein schönes Wochenende mit sich allein genießen. Der „Erspar Dir was“-Service ist in den USA schon so beliebt, dass ganze Kennenlernwochenende von Start-Up-Unternehmen ausnahmslos von „Erspar Dir was“-Mitarbeiter:innen erfolgreich absolviert wurden. „Erspar Dir was“ ist die Geschenkgutschein-Idee für Weihnachten und kann bereits unmittelbar am 25.12. eingelöst werden.

Wien, 2. Bezirk, Anfang Oktober 2023

Plötzlich stehen vier junge Muslimas vor mir. Sie wirken sehr nett, kess und sind eigentlich ganz guter Laune. Eine von ihnen fragt mich: „Sind Sie für die Juden oder die Palästinenser?“ – „Hmmm, das ist eine sehr schwere Frage. Ich würde sagen ich bin für den Frieden.“ – „Ja, wir auch, aber wenn die Juden die Palästinenser umbringen, dann sollte man lieber die Juden töten.“ „Sie haben eine Moschee bombardiert,“ sagt eine andere. – „Das ist falsch,“ sage ich, „aber die Menschen in Israel haben jetzt nach den Terroranschlägen Angst und wo sollen die Juden denn hin?“ – „In ein anderes Land. Das Land gehört den Palästinensern.“ An der Stelle sind sich die vier nicht ganz sicher. Ich frage: „Sollten nicht Juden und Moslems friedlich zusammenleben?“ Sie nicken. „Ja, das wäre das Beste.“ „Ein Lehrer hat einen Jungen geschlagen, weil er eine palästinensische Flagge hatte“, prustet eine hervor. – „Wo?“ – „In München.“ Eine andere meint: „Die Türken bringen auch die Kurden um. Sind sie für die Kurden oder die Türken.“ – „Puhhh, sollte nicht besser niemand irgendwen umbringen?“ – „Sind Sie Deutscher?“ – „Ja.“ – „Sind die Deutschen für die Juden?“ – „Die Deutschen und die Österreicher haben einmal versucht alle Juden zu ermorden. Ich finde die Deutschen sollten immer für die Juden sein.“ Die vier denken nach. Sie haben schon einmal von der Shoah gehört. Sie sind weniger betroffen, als etwas irritiert. Nach einer Weile meint eine: „Wir Moslems werden sehr schlecht behandelt“. – „Ja, leider.“ antworte ich leise. Das einzige der vier Mädchen das Kopftuch trägt blickt mich an: „Glauben Sie, dass das jetzt das Ende der Welt ist?“ – „Nein.“ Die vier gehen weiter.

Partystimmung mit viel G‘fühl

Sommerliche Temperaturen auch Mitte Oktober halten keinen echten Ski-Sport-Fan vom Feiern beim großen Ski-Opening in Sölden ab. Den Sommer über wurde am Rest-Gletscher gesprengt, Geröllblöcke weggeschafft und der Schnee des letzten Jahres aufwendig konserviert. So geht Wintersport 2023. Die Macher:innen sind nur sauer, dass man sie für die Mühen nicht anständig feiert. Also feiern sie sich und ihre „Erfolgsgeschichte“ selbst. Die Athlet:innen werden mit einer Oldtimer-Parade auf dem Renngelände abgeliefert, das übrigens (wer hätte das gedacht?) immer noch unzureichend an den ÖPNV angeschlossen ist, Alles ist in „Feierlaune“, so wie in den letzten dreißig Jahren, als es noch etwas kälter und verschneiter war. Einigen Athlet:innen kommt das dann doch schon langsam etwas seltsam vor. Sie fragen, ob der Saisonstart im Oktober nicht etwas zu früh sei und wünschen sich von den Skiverbänden mehr „Nachhaltigkeit“. Der Weltskiverband sieht nicht einmal die Notwendigkeit dies zu kommentieren, der österreichische Verband ermahnt die eigenen Sportler*innen, diese müssten sich zwischen ihrem Sport und ihrer „Ideologie“ schon entscheiden. Beides gleichzeitig kann man nicht „leben“. Darauf den 11. Becher „Lumumba“ mit ganz viel Rum hinter den Ringschal gießen und weiter schön ideologiebefreit feiern.