MALMOE

(K)ein Licht am Ende des Tunnels

Gestörtes Störendes #18

Ich habe das Gefühl, dass mensch aktuell, so wie mensch nicht nicht kommunizieren kann, nicht nicht über Corona sprechen kann. Das bewusste Nicht-Sprechen über Corona kommt einem Eskapismus gleich. Was auch o.k. wäre, wenn dann auf der anderen Seite ernsthaft, radikal und solidarisch darüber gesprochen würde. In unserer kapitalistischen Welt, in der die Werte und Prioritäten verzerrt bis verkehrt sind, herrscht jedoch blinde Rationalität, von der Leben, Liebe, Menschlichkeit abgespalten sind und nun kämpferisch gegen diese in Stellung gebracht werden können und müssen.

Wir sind keine abgeschlossenen Einheiten, die aus sich heraus in einer Umwelt agieren. Das wäre eher ein Bild wie ein Insektenstaat, wo jedes Individuum einem inneren Programm folgt (in der Mainstream-Psychologie heißt das auf den Menschen bezogen „Charakter“, „Persönlichkeit“, „Einstellungen“ usw.) und sich dadurch ein kollektives Zusammenspiel ergibt, eben der „Ameisenstaat“ oder das „Bienenvolk“. In Bezug auf den Menschen entspricht das dem Bild einer Gesellschaft, die nichts anderes ist, als eine Ansammlung vieler Individuen.

Der Mensch hat aber keine Umwelt, so wie Tiere oder Insekten. Letztere reagieren auf Reize, die entweder genetisch determiniert sind oder innerhalb artspezifischer Lernkapazitäten variieren können. Das, was die klassische Lernpsychologie auch beim Menschen als „Reize“ definiert (und somit ideologisch verkürzt), sind in Wahrheit Bedeutungen. Das ist etwas völlig anderes. Bedeutungen sind ein Aspekt der Bedingungen, in denen ich mein alltägliches Leben führe. Aufgrund meiner aktuellen und vergangenen Bedingungen und Erfahrungen in diesen akzentuiere ich aus den Bedingungen die für mich relevanten Bedeutungen, die zu Prämissen meines Handelns werden. Diese menschliche Eigenart der Lebensführung und des Weltbezugs macht aus einer „Umwelt“ Welt. Das menschliche Spezifikum ist seine absolute Gesellschaftlichkeit.

Um unser Leben gut führen zu können, brauchen wir auf jeden Fall Planbarkeit und Perspektiven. Unter kapitalistischen Bedingungen müssen wir uns sowieso schon mit Konkurrenz (andere ausstechen), Instrumentalität (andere benutzen), Lohnarbeit (Lebenszeit für Geld eintauschen), Herrschaftsstrukturen (patriarchale, rassistische, klassistische) herumschlagen. Wir bewegen uns in einer potentiell feindlichen Welt, in der wir in jeder Situation übervorteilt werden können. Trotz dieser „negativen“ Aspekte ist eine Grundkategorie, ohne welche menschliche Gesellschaft und somit menschliches Leben unmöglich wäre, Kooperation.

In der Coronakrise verschärfen sich die Bedingungen unserer Lebensführung. Viele spüren Prekarität, andere sind voll drin, einige schon jenseits. Dann gibt es noch besonders Privilegierte, für die „Prekarität“ einfach nur ein Wort bleibt. Unsere Regierenden gehören hauptsächlich zu dieser Gruppe. Sie sind es auch, die die Perspektiven unserer Bedingungen gestalten. Was wir dabei erleben, ist kein solidarisches, effektives, vernünftiges Handeln, sondern Chaos, Inszenierung, Worthülsen, leere Versprechungen, Klientelismus, Geringschätzung von Leben usw.

Eigentlich nichts Neues, aber in gesellschaftlich prekären Zeiten spitzt sich die Dramatik in der kapitalistisch ausgerichteten Gesellschaft zu. Somit spitzt sich auch die Krise unserer jeweiligen individuellen Perspektiven und Planungsprozesse hinsichtlich unserer alltäglichen Lebensführung zu. Was macht das mit uns? Es stresst uns. Wie wir darauf reagieren, ist höchst unterschiedlich, aber die Zahlen und Berichte aus dem psychosozialen Feld sprechen eine eindeutige Sprache: mehr psychische Krisen, Depressionen, problematischer Substanzkonsum, Suizide usw. Dann gibt es noch jene, die „aufwachen“ und im Internet mobilisieren und auf „Corona-Demos“ gehen. Das fühlt sich gut an, weil man aktiv wird und das Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben steigert. Dass dabei Menschen- und Lebensverachtendes rauskommt, wird abgespalten oder umgedeutet.

Während wir alle also immer mehr in die Krise schlittern und die gesellschaftlichen Spannungen zunehmen, sprechen die Regierenden von Lockerungen, agieren unkoordiniert, wirken kurzsichtig bis orientierungslos.

Das „Licht am Ende des Tunnels“ ist ein entgegenkommender Zug.