MALMOE

Ketten

Becoming Digital 0x12

„Das Problem ist, dass wir Industrieländer externalisieren. Wir lagern Produktionsketten aus […] Wir akzeptieren und zementieren damit die Ausbeutung von Mensch und Natur in Entwicklungsländern.“ So der für einen CSUler merkwürdig sozial anmutende Bundesentwicklungshilfeminister (sic!) Gerd Müller kürzlich in einer Pressekonferenz. So weit, so bekannt. Die Erkenntnis, dass ausbeuterische Produktionsverhältnisse Teil der globalisierten Wirtschaft sind, hätte jetzt prinzipiell keiner Pressekonferenz bedurft, wäre da nicht der „Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte“ (sic!), der grob gesagt einfordert, dass zumindest (!) 50 Prozent der deutschen Wirtschaft sich zumindest (!) um die Einhaltung der Menschenrechte innerhalb ihrer Lieferketten bemühen sollten. Minimalziele, die weit unter dem liegen, was man auf Grundlage unserer Rechtsordnung wohl eigentlich einfordern sollte.
Was die Debatte allerdings vollkommen außer Acht lässt, ist, wie Lieferketten aus Sicht eines Unternehmens zustande kommen. Sie sind für diejenigen, die sie erstellen, zuallererst Informationseinheiten, Kästchen in einer Verwaltungssoftware. Der Prozess der Herstellungsplanung ist dabei über eine Vielzahl an Mitarbeiter_innen verteilt – von Einkauf über Kostenkontrolle bis hin zur Kapazitätsplanung für die Herstellung des eigentlichen Produktes. Es ist eben diese IT-Infrastruktur, in der unmenschliche Arbeitsbedingungen und ökologische Folgeschäden für das Unternehmen verschwinden – externalisiert werden, wie der neoliberale Neusprech es paraphrasiert. So entsteht jenes merkwürdige Amalgam aus willentlicher Missachtung ethischer Standards und bürokratischer Blindheit, welches, wenn man ehrlich ist, die Grundlage unseres momentanen Wirtschaftens bildet.
Sicherlich nicht als Erster, aber wahrscheinlich am treffendsten hat diesen Umstand der kürzlich verstorbene David Graeber erkannt. Seinein The Utopia of Rules nachlesbare Umschreibung unserer bürokratischen Wirtschaftsweise als „managerial feudalism“ fügt sich, obgleich sie sich primär mit den Bedingungen der Arbeit hierzulande auseinandersetzt, so genau in die Kritik globaler Ausbeutungsmechanismen ein, dass ihr Zusammenhang schwer zu übersehen ist. Dabei macht sein breites Verständnis von Bürokratie (welches nicht nur den Verwaltungs- und Wirtschaftsbereich umfasst, sondern eben auch unser großteils digitalisiertes Alltagsleben vom Onlineshop bis zur Taxi-App) sichtbar, dass wir mittlerweile alle an der Planung und Umsetzung der Produktions- und Lieferketten unmittelbar beteiligt sind, sie befüllen, steuern, nutzen. Gleichzeitig macht sie klar, dass das ethisch wünschenswerte nie sinnvoll in Formularen und Daten abzubilden ist.
Die Idee des vom Bundesentwicklungshilfeminister vorgeschlagenen Gesetzes, Unternehmen dazu zu verpflichten, die Einhaltung der Menschenrechte innerhalb ihrer gesamten Lieferkette einzuhalten, wird also nicht mit einem Update im Prozessmanagement zu erfüllen sein. Sie würde, wenn ernsthaft angegangen, verlangen, dass die Produktionsplanung eben nicht mehr ausschließlich in Tabellen und Flussdiagrammen stattfindet, nicht mehr ausschließlich in Konzernzentralen und Rohstoffbörsen gemacht wird. Sie würde eine global gesehen demokratischere Art des Wirtschaftens erfordern. Man fragt sich, ob dies den am Gesetz Beteiligten eigentlich klar ist.