MALMOE

Berechenbar-Machen des ­Unberechenbaren

Eine Einleitung zu Algorithmen

Algorithmen sind die Götter unserer Zeit und lenken die Geschicke der Menschheit. Dies ist jedoch keine gotteslästernde Technikkritik. Ich bin aber auch keine Gläubige. Ich bin das nervige Kind, das auf die Endlosschleife der Frage „Warum“ pocht. Das „Warum“ bezieht sich bei Algorithmen auf die politischen Entscheidungen, die hinter ihnen stehen, denn nein, sie sind keine selbstherrlichen Subjekte. Es gibt demnach keine guten oder bösen Algorithmen, sondern sie sind Resultat von Interessen. Diese Interessen sichtbar und diskutabel zu machen ist in Zeiten des Neoliberalismus oftmals schwierig, so die Digitalisierung alternativlos unter dem Vorzeichen des Wachstums und der Effizienzsteigerung steht. Wesentliche Lebensbereiche werden digital von Computerprogrammen, sogenannten Algorithmen, verarbeitet, welche Entscheidungsprozesse automatisieren – auch Menschen betreffend. Hier gilt es Kritik zu üben, da dies in bestimmten Anwendungen oft unmoralisch ist und Bevölkerungsschichten systematisch diskriminiert.

Dem französischen Philosophen Bernard Stiegler und seinem Werk Automatic Society. Volume 1. The future of work nach-gedacht, falten sich zwei Felder der Kritik auf. Einerseits ist fraglich, welche Daten gesammelt werden und was damit versucht wird abzubilden. Andererseits ist es höchst brisant, wie diese Daten von Algorithmen verarbeitet werden. Ein digital shadow von Individuen entsteht, wenn Informationen wie Alter, Geschlecht oder Wohnort angegeben werden. Jedoch gibt es neben der bewussten Freigabe auch Daten, die durch das Hinterlassen von digital traces im Internet entstehen. Etwa werden Suchanfragen und Konsumverhalten gespeichert. Diese Informationen sind begehrt und bilden den neuen Markt des data minings. Aufgrund von Vergangenem soll Zukünftiges berechnet oder durch eine Auswahl oder einen Vorschlag das Verhalten von Personen in Bahnen gelenkt werden. Beispielsweise „erinnert“ sich Amazon an die Bestellungen seiner Benutzer*innen und schlägt Produkte vor, die Konsument*innen des gleichen Artikels gekauft haben. Das mag recht harmlos erscheinen, streift aber die philosophischen Fragen nach dem freien Willen und der freien Entscheidung. Wesentliche Bereiche des prozessualen Lebens werden dabei missachtet, wenn sie nicht in berechenbare Fakten transformiert werden können. Dieses Phänomen wird als smartification bezeichnet. Während beispielsweise bei der sozialen Kompetenz so etwas wie „Taktgefühl“ als essenziell für die Bewertung von Situationen erachtet wird, kann ein Computerprogramm den Kontext einer Handlung nicht mit einberechnen. Smartifiziert – hier vollziehen wir den Perspektivwechsel vom Subjekt zur Politik – werden auch Entscheidungen, die das Zusammenleben organisieren sollen. Anstatt dass diese in der Gestalt von Recht, Herrschaft, Staatsgewalt oder Demokratie als etwas Auszuverhandelndes auftreten, erscheinen sie als Resultat von Fakten und könnten in dieser Logik von Algorithmen übernommen werden: Eine algorithmic governmentality, oder gar Faktischismus?

Der Trend geht dahin, dass es kein Dazwischen geben soll, keine Uneindeutigkeit, und dabei ganz der Ideologie entspricht, dass etwas nur so oder so ist. Wo dies Sinn ergibt und wo es einer Gesellschaft obliegt, demokratisch Entscheidungen zu treffen, gilt es zu klären. Spoiler: Rechtschreibprogramme und Einparkhilfen finden wir eh cool.