MALMOE

„Österreich ist nicht mehr Weiß“

Ein Dokumentarfilm über People of Color in Österreich

EDELWEISS, der performative Dokumentarfilm zeigt Lebensrealitäten von PoC’s, die in Wien leben beziehungsweise aufgewachsen sind. Der Film ist auf Interviews aufgebaut und vermittelt auch auf einer performativen Ebene Geschichten, Emotionen und Perspektiven. Im Interview sprechen Anna Gaberscik (Regie), Stella Radovan (Creative Producer) und Reza Majdoddin (Director of Photography & Post-production).

Marija (M): Ich habe mich im ersten Moment so geärgert, als ich recherchiert habe, dass in den Medien, deine Aussage so betont wird, dass der Film kein Angriff sondern „nur“ ein kritischer Liebesbrief an Österreich ist. Weil es nicht so wirkt, als wäre das etwas, was ihr so in den Mittelpunkt stellen würdet, oder?

Anna (A): Ja, mir ist relativ klar und es ist auch klar, dass der Film kein Angriff ist, aber es gibt trotzdem Leute, die das so wahrnehmen und ich glaube, ich habe das bei der Premiere gesagt, weil ich das Gefühl hatte, dass ich das sagen muss. Weil es auch Leute gibt, die den Film nicht sehen und die Tatsache, dass POC’s  über Rassismus sprechen, ganz direkt, ganz offen und klar und auch sagen, dass es Rassismus in Österreich gibt- ist für österreichische Verhältnisse schon sehr direkt. Normalerweise redet man hier nicht so direkt über solche Themen.
Stella (S): Also die Bezeichnung „kritischer Liebesbrief“ war schon im Titel, das ist nicht mit den Medien entstanden. Aber genau, dass es kein Angriff ist, wurde dann mehr betont. Wobei ich finde, man darf „Angriff“ nicht mit Kritik verwechseln. Wenn Kritik nicht sensibel genug formuliert wird, kann das auch schiefgehen und dass es sonst auch nicht was angenehmes ist, ist klar. Aber ja, ich finde es trotzdem irgendwie schade, dass man da Kritik und Angriff nochmal definieren muss.
Reza (R): Aber du hattest das ja auch nur einmal gesagt, dass der Film kein Angriff ist.
A: Ja, und es ist interessant, welche Aussagen von mir dann so herausgenommen werden. Ich hab das damals nicht unabsichtlich gesagt, aber eben in dem Kontext. Ich finde es auch okay ein bisschen aggressiv anti-rassistisch zu agieren.

M: Ich würde gerne einen Satz aus eurer Webseite highlighten: „EDELWEISS. ist ein kritischer Liebesbrief an ein Land, das ein besserer Ort für diejenigen werden muss, die es seit Jahren zu einem besseren Ort machen.“

A: Ja, das ist ein guter Satz!
M: „Liebesbrief“ als Teil des Titels finde ich auch sehr passend, weil die Menschen in den Interviews auch sehr verletzliche, intime Seiten von sich zeigen und das auch Mut erfordert.
S: Das ist auch etwas, was uns sehr wichtig ist, dass wir über unsere Arbeitsweise sprechen. Leider wurde das bisher nicht so gepusht, weil es keine reißerische Schlagzeile ist, obwohl es das durchaus verdient. Am Anfang unseres Konzepts stand auch die Frage nach Safer Spaces (Schutzräumen). Das ist schon relativ lange her und wir haben das sehr schnell in unsere Arbeit eingewoben. Das war wichtig, weil wir gemerkt haben, die Leute teilen ihre Geschichten, weil sie sich am Set sicher fühlen.

M: Geht ihr mit dem Film auch in andere Bundesländer?

S: Voll, also das ist jetzt auch so ein riesiges Ding für uns, das wir jetzt langsam stemmen und angehen und es dauert einfach ewig lang, weil wir neben unseren Tagesjobs, dieses Projekt verbreiten. Hinter jedem Screening stehen unsere persönliche Arbeit und unser Engagement. Wir arbeiten gratis – wir sind also jetzt schon im unbezahlten Territorium. Schön langsam kommt wieder was, das stecken wir wieder in EDELWEISS. Es ist uns natürlich extrem wichtig, in andere Bundesländer zu gehen. Nächste Woche sind wir in Klagenfurt und das ist sehr schön, weil das unsere erste Anfrage außerhalb Wiens ist. Wir werden dort auch einen Workshop machen und das wird kein Anti-Rassismus Workshop sein. So etwas müssen wir auch genau kommunizieren und schauen, wie wir den Workshop am besten bewerben. Was auch ein spannendes Learning ist, wenn es um Kommunikation über das gesamte Thema geht.
A: Wir sind echt gespannt, wie es ankommt außerhalb von Wien. Es ist super, dass der Film in Wien so gut angekommen ist, das ist alles schön und wow wow wow! Man darf aber auch nicht vergessen, dass es halt doch auch Pushback gibt und wir sind und waren während des ganzen Prozesses sehr verletzlich und sind es in diesem Verbreitungsprozess immer noch, weil wir so stark Stellung nehmen und alle wissen: das sind die drei Personen, die diesen Film gemacht haben, mit dieser Stimme und dieser Art von Antirassismus. Außerhalb von Wien werden wir auch nur zu zweit oder zu dritt sein, da sind wir gespannt und werden berichten.
S: Ja, in Wien ist man eben ein bisschen mehr an eine Thematisierung gewöhnt, wir haben hier PoC’s, excuse me, obviously, aber wenn man dann rausfährt, hat man das Gefühl, die Leute tun so, als wäre es dort nicht der Fall. Also ich habe gedacht, okay, ist das anderswo überhaupt relevant, wenn es nicht Wien ist? Aber ja, ganz Österreich ist nicht mehr Weiß. Diese Thematik ist überall relevant und es ist notwendig, Spaces dafür zu schaffen. Das ist auch der Grund warum diese Thematik hier im Film ist, weil es ein besonderer Space ist, wo man sich mal reinsetzen kann und sich damit beschäftigen kann, auch ohne beweisen zu müssen, dass man jetzt alles gecheckt hat und all die wichtigen Wörter kennt, also dieser Druck von „ich kann jetzt Diversität“ fällt ein bisschen weg. Bei Workshops ist ja oft die erste Hemmschwelle, dass man reden muss und im Film eben nicht.
Das könnte also sowas wie ein erster Schritt sein. R: Ich wünsche mir, dass so viele Menschen wie möglich sich mit diesem Thema auseinandersetzen – und wie besser, als sich einen Film anzuschauen!? Und ich wünsche mir, dass sich auch vor allem Weiße österreichische Künstler:innen damit beschäftigen und auch einen Beitrag dazu leisten, der Gesellschaft zu zeigen, wie viel Aufmerksamkeit und Arbeit dieses Thema braucht. Die Arbeit sollte nicht alleine bei POC liegen. Es reicht nicht, mal ein bisschen „Black Lives Matter“ oder „woman. life. freedom“ zu posten, wenn man sich im gelebten Alltag still zu den Themen Rassismus, Diskriminierung etc. verhält.

M: Diese Hemmschwellen und Ängste dürfen doch nicht so schwer zu überwinden sein, wenn es um Mitmenschen geht und darum, wie wir aufhören können, scheiße zu ihnen zu sein. Auch diese Ausreden wie: Wir haben dringendere Themen und Probleme und nicht genug Ressourcen, um uns mit Rassismus zu beschäftigen, sind einfach nicht akzeptabel.

A: Diese Ausreden kommen daher, dass diesen Personen PoC’s nicht wichtig genug sind, weil in der Zeit, in der man sagt, das ist jetzt nicht Priorität, wir haben nicht genug Ressourcen, haben schon Generationen von Kindern und Erwachsenen darunter zu leiden, dass nichts getan wurde. Der Film zeigt ganz klar: Das sind ja echte Menschen, die normale Leben haben wollen, also get over the burden of making mistakes, wir können diesen Weg gemeinsam gehen und es ist okay, Fehler zu machen.
S: Ich als Weiße Person, die glaubt, dass sie eh schon gut mit dabei ist, was Antirassismus betrifft, werde auch nicht müde zu sagen, es gibt immer mehr und man darf nicht vergessen, dass man blind spots hat, man darf nicht vergessen, dass man nicht alles weiß, man darf nicht vergessen, dass man über andere Erfahrungen spricht und nicht die eigenen. Das ist uns auch wichtig in unserer Arbeitsweise.

M: Wie kann man euch unterstützen?

S: Kommt auf uns zu, unser Postfach ist offen. Wir haben auch einen GoFundMe-Link. Holt uns, wir sind mit Gesprächen dabei, wir haben auch drei sehr unterschiedliche Perspektiven!

Anna Gaberscik ist eine österreichisch-U.S amerikanische Anti-Rassismus Trainerin, Aktivistin, Autorin und Performerin. Anna ist die Gründerin des Projekts ‚Through Our Eyes‘, einem interdisziplinären Projekt, das sich mit Antirassismus, Intersektionalität und Empowerment in verschiedenen kreativen Formen auseinandersetzt. 

Stella Radovan ist eine österreichische Theater Vermittlerin, Sängerin und Kulturschaffende und arbeitet mit und für junges Publikum. 

Rezzarte | Reza Majdodin ist ein iranischer Foto- und Videograf, der seit 2013 in Wien lebt. Reza Majdodin (Rezzarte) ist einer der Stipendiat:innen 2023 von kültür gemma! und wird an einem Projekt mit dem Arbeitstitel “Antrag abgelehnt!” arbeiten, einem Dokumentarfilm über die österreichische Staatsbürgerschaft.

Sepehr Sarabchi ist aus dem Iran und lebt seit 2010 in Österreich. Er filmt und fotografiert bereits seit vielen Jahren und hat im Jahr 2019 seine Leidenschaft zum Beruf gemacht.