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MALMOE

Support bei illegalen 
Rückweisungen

Seit gut einem Jahr gibt es die Hotline von Pushback Alarm Austria. Prozess.report traf Monika Mokre und Petra Leschanz, zwei Gründerinnen der Initiative, und zog gemeinsam mit ihnen Bilanz

prozess.report: Wie ist eure Bilanz nach einem Jahr Pushback Alarm Austria?

Monika Mokre: Es ist in verschiedener Hinsicht wichtig, dass es das gibt. Als wir begonnen haben, war unsere Zielsetzung, dass es eine Hotline gibt, wo Leute anrufen können, die um Asyl ansuchen wollen. Es zeigte sich, dass es auch viel um Dokumentation geht. Es wäre uns lieber, diese Fälle zu verhindern als zu dokumentieren, trotzdem ist diese Dokumentation sehr wichtig. Die zwei stattgefundenen Pushback-Prozesse haben viel Energie und Zeit gebunden. Wir gehen soweit mit, bis ein Asylantrag gestellt werden kann, oder wir dokumentieren, wenn er nicht gestellt werden konnte. Weil man dann eben auch sieht, wie mit Asylanträgen umgegangen wird, dass die Leute zum Beispiel nur 15-minütige Einvernahmen beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl haben. Für mich wird immer deutlicher, dass wir unsere Netzwerke weiterentwickeln müssen, um alle diese Dinge abdecken zu können – auch in Bezug auf Asylquartiere.

Petra Leschanz: Ich denke, bei dieser Form der Intervention, die man mit der Hotline anbietet, liegt der Fokus auf einen besonderen Bereich. Nicht nur geografisch, sondern auch bezüglich der Lebenssituation der Menschen, die ankommen. Das ist ein wesentlich unmittelbarer Kontakt zu den Personen, die noch unterwegs oder gerade am Ankommen sind, der unglaublich wertvoll ist und in anderer Form wahrscheinlich nicht zu gewährleisten wäre. Es fand in dem Jahr ein sehr kreativer Prozess statt. Es sind Dinge entstanden, die wir uns nie hätten vorstellen können. Die Bilanz ist auf alle Fälle eine, die bedeutet, dass es Pushback Alarm auch in Zukunft geben wird und geben wird müssen.

Wieso habt ihr euch gegründet?

MM: Der Anlass war, dass eine Kollegin und ich eine „Open Border“-Konferenz im Rahmen der Wienwoche 2020 organisiert haben. Dort schilderte eine Genossin aus Bosnien, dass Leute aus Österreich dorthin gepushbackt wurden. Wir wollten versuchen mit denen in Kontakt zu bleiben. Das ist misslungen. Es misslingt sehr oft, da die Leute in den Bergen und dann einfach weg sind. Wir haben dann begonnen darüber nachzudenken, dass es diese Pushbacks aus Österreich offensichtlich gibt und dass man etwas tun sollte.

PL: Es gibt auch noch eine ältere Geschichte: Den Versuch, für Menschen Rechtshilfe zu organisieren, die an der österreichischen Südgrenze gepushbackt wurden. Es war die Erfahrung von Spielfeld Anfang 2016. Wir waren live dabei, als in der Südsteiermark die sukzessive Grenzschließung entlang der Balkanroute, also die Filterung der offenen Route und dann auch die richtige Schließung am 6. März 2016 vonstattenging. Wir durften als unabhängig engagierte Menschen nicht mehr ins Grenzmanagement rein und haben das Ganze aus den slowenischen Lagern, 300 Meter weiter südlich beobachtet. Wir konnten die Leute bis zur Grenze begleiten und haben durch gute Vernetzung mit den slowenischen Freund:innen dann erfahren, dass immer wieder Leute zurückgeschickt worden sind. Wir sind dem nachgegangen und sind so auf hunderte Personen gestoßen, die innerhalb von 21 Tagen von Spielfeld nach Slowenien gepushbackt worden. In den slowenischen Lagern hatten sie die Möglichkeit, entweder vor Ort einen Asylantrag zu stellen oder nach Kroatien zurückgeschoben zu werden. Es ist gelungen, die Menschen mit Hilfe slowenischer Freund:innen zu finden. Es ist gelungen mit einigen von ihnen – die sich das antun wollten – ein Verfahren in Graz mit Ronald Frühwirth als Vertreter einzuleiten. Von 25 Verfahren ist der überwiegende Teil so ausgegangen, dass das Vorgehen der Polizei im Grenzmanagement in Spielfeld als rechtswidrig beurteilt wurde. Diese Urteile sind 2017 ergangen, und so gab es eine wichtige Rechtsprechung in dem Bereich. Das hat mich überzeugt, dass auch bei den aktuellen Pushbacks, die ja in einem ganz anderen Setting passieren, der rechtliche Weg ein sehr wichtiger sein wird. Ab wann gilt ein Asylantrag als solcher? Wie hat die Polizei konkret vorzugehen? Und was hat sie für Verpflichtungen den Personen gegenüber? Die Fragen wurden damals sehr intensiv vor Gericht behandelt.

Wie ist der Ablauf bei Kontakt über die Hotline?

MM: Die Hotline ist eine Nummer, die zwischen verschiedenen Handys wechseln kann. Das heißt, es gibt Schichten, an denen jemand die Hotline übernimmt. Wenn jemand anruft, müssen wir als Erstes feststellen, ob wir uns sprachlich verständigen können. Wenn nicht, haben wir im Hintergrund Dolmetscher:innen für alle Sprachen, die wahrscheinlich sind. Bisher ging es zumindest für diesen Erstkontakt immer irgendwie. Wir versuchen dann herauszufinden, wo die Leute sind, was man ja meist über Google Maps oder so recht genau sagen kann. Wenn wir diese Information haben, beispielsweise dass Leute gerade die Grenze überschritten haben und um Asyl ansuchen wollen, rufen wir die nächste Polizeidienststelle an und teilen ihnen das mit. Zusätzlich schicken wir eine E-Mail, in der wir auch die jeweilige Landespolizeidirektion und unseren Anwalt CC setzen. Das ist so der Idealfall. Es gab Geschichten, wo mir am Telefon gesagt wurde, das Militär sei dafür zuständig. Es war recht schwierig, das Militär zu erreichen. Aber nach unserer Erfahrung genügt es zu sagen, „Es gibt uns“ und „Jemand weiß Bescheid“, damit das Asylansuchen auf alle Fälle angenommen wird. Es gibt noch andere schräge Geschichten. Wir hatten zweimal das Problem, dass Leute schon in Wien waren und bei der Polizei am Hauptbahnhof standen, diese den Antrag aber nicht annehmen wollte. Einmal haben sie am 24.12. gesagt, dass sie heute nicht mehr arbeiten. Die Person hat sich dann gemeldet und gesagt, es sei kalt und sie wisse jetzt nicht, was sie tun soll. Dann hab ich da angerufen und gesagt: „Hier ist Dr. Mokre, mir wurde mitgeteilt, dass Sie heute nicht arbeiten, da muss es sich wohl um ein Missverständnis handeln“, dann habe ich eine halbe Stunde später nochmal angerufen und dann hieß es: „Wir sind schon im Gespräch und es wird schon alles gemacht.“

PL: Es ist auch spannend, dass es den Personen, die auf dem Weg zur Grenze oder über die Grenze gekommen sind, meist bewusst ist, dass im Grenzgebiet ein hohes Risiko besteht, einen Pushback zu erleiden. Bei einer Nummer anzurufen, die man nicht einschätzen kann, wo man sehr viel Vertrauen in den Menschen dahinter haben muss, passiert meiner Einschätzung nach in zwei Fällen: In dem ersten Fall steht man bei der Polizei, weil man schon im Grenzgebiet angetroffen wurde und diese Angst akut ist. Da ist es häufig ein Problem, dass man als Erstes das Handy abgenommen bekommt. Wir hatten auch einen Anruf, wo jemand nur mehr sagen konnte: „Ich bin im ersten Dorf in der Steiermark“, und schon hörte man im Hintergrund einen Beamten sagen: „No phone, no phone!“, und die Verbindung brach ab. Das ist natürlich dramatisch. Der andere Fall, den wir auch hatten, war, dass Angehörige bei uns angerufen haben. Im konkreten Fall war das der Bruder eines angekommenen Syrers, der selber seit Jahren in Deutschland lebt. Der hat gesagt: „Mein Bruder ist über die Grenze gekommen, er hat sich da und dort zuletzt gemeldet, und jetzt ist er nicht mehr erreichbar. Ich mache mir Sorgen, dass er nach Ungarn gepushbackt wird.“ Dann ist es wichtig, schnell zu sein, um den Ort möglichst genau zuordnen zu können, zu wissen, welche Polizeidienststellen in der Gegend zuständig sind und wo man anrufen kann. Ist man schnell, dann lässt sich die Person unter Umständen bereits lokalisieren. Im konkreten Fall des Anrufs vom Bruder war es wirklich möglich, mit der Polizeidienststelle zu sprechen, die gesagt hat: „Ja, den haben wir gerade dagehabt und der wird jetzt dort und da hingebracht.“ Ich denke, dass es für Angehörige erstmal sehr beruhigend ist zu hören, dass da jemand ist, den man anrufen kann und der nicht die Polizei ist. Für uns war es in allen Fällen, wo der Ort des Aufgriffs konkretisierbar war, möglich, dass man dem nachgeht und die Personen findet.

Von welcher Zahl an Pushbacks geht ihr denn aus?

PL: Also, das Innenministerium ist immer ganz gut darin, Zahlen durchzumischen. Wir haben bei der wichtigen ersten Parlamentarischen Anfrage von Stephanie Krisper von den NEOS die Zahl von 400 Rückweisungen gehabt. Da waren aber Rückweisungen an der Grenze von allen möglichen Personen, auch solche, die die Covid-Bestimmungen beim Einreiseversuch nicht erfüllen konnten. Es ist sehr schwer herauszufinden, wie viele nach einem Aufgriff zurückgewiesen worden sind. Was wir am Anfang auch nicht erwarten und vorhersehen konnten, waren die Gerichtsverfahren. Das hat uns den besten Einblick in die tatsächliche Pushback-Situation an der südsteirischen Grenze gegeben. Wenn wir die Zahlen aus dem ersten Verfahren, also das von Ayoub, dem gegenüberstellen, was jetzt im Zuge des Verfahrens von Amin herausgekommen ist, dann haben wir da schon eine sehr bemerkenswerte Tendenz, dass nämlich die prozentuale Chance, dass in der Südsteiermark ein Asylantrag nach einem Aufgriff tatsächlich aufgenommen wird, exponentiell gestiegen ist. Es ist selbstverständlich noch immer keine Entwarnung angesagt. Gerade deshalb nicht, weil sich auch die Frage stellt, wovon das eigentlich abhängig ist und ob es realistisch ist, dass die Personen bei einem Aufgriff keinen Asylantrag stellen.

Wie beurteilt ihr die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts und welche Forderungen leiten sich aus diesen ab?

PL: Eine unserer wesentlichen Forderungen nach dem Verfahrensausgang für Amin ist, dass es keine Rückweisungen nach Slowenien mehr geben darf. Nämlich überhaupt keine Rückweisungen nach Slowenien, auch wenn jemand tatsächlich nicht um Asyl ansuchen sollte, da eine Zurückweisung dorthin einen Bruch des Artikels 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, also des Folterverbots, darstellt, weil die Gefahr besteht, einem Kettenpushback zum Opfer zu fallen. Dieser Artikel ist nur dann zu gewährleisten, wenn nach Aufgriffen wirklich alle Zurückweisungen nach Slowenien gestoppt werden, und Ähnliches kann man auch für Zurückweisungen nach Ungarn sagen. Eine solche würde automatisch zu einem Kettenpushback führen. Wir wissen auch von ungarischen Kolleg:innen, dass Pushbacks nach Serbien an der Tagesordnung sind. Da wird der Grenzzaun aufgemacht und die Leute werden durch eine Tür rausgeschupft, also wirklich gepusht im physischen Sinn. Sie befinden sich dann wieder in Serbien und werden teilweise nach Mazedonien weitergepusht. Das ist unsere wesentlichste Forderung derzeit: keine Rückweisungen nach Aufgriffen, weder nach Slowenien noch nach Ungarn!

Weitere Infos: facebook.com/PushBackAlarmAustria

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