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MALMOE

Die Sache mit Pappenheim und eine Drohung

Zu den Aktivitäten eines rechten Wikipedia-Autors

Seit Monaten recherchieren wir beim Semiosisblog die metapolitischen Aktivitäten des Wikipedia-Autors Pappenheim. Wer in der Online-Enzyklopädie beim Texten mittun will, macht dies in der Regel anonym. Viele schreiben unter einem Pseudonym, das mitunter lustig ist – oder aber rätselhaft. Dass die Nutzer_innen anonym bleiben, ist eine heilige Grundregel von Wikipedia, die ihren Sinn hat.

Im Falle des Wikipedia-Pseudonyms „Pappenheim“ wissen mittlerweile eine Reihe von Personen und Medien, die zum Heeresgeschichtlichen Museum (HGM) recherchiert haben, den Klarnamen. Und seinen Beruf. Denn er arbeitet in eben jenem Museum. Wir hatten uns für ihn im Jahr 2019 interessiert, nicht um einen Namen eines seltsamen Autors zu outen, sondern um ein System und eine politische Strategie offenzulegen.

Denn: Pappenheim fiel uns immer dann auf, wenn in der Wikipedia etwas aus dem Themenspektrum des Deutschnationalismus angesprochen wurde. Dann redigierte er die Texte gerne so, dass Verstrickungen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert oder „gelöscht“ wurden. Beispielsweise, wenn es um berühmte Alte Herren der Burschenschaft Gothia ging, die glühende Antisemiten waren1(vgl. den Artikel „Wer kennt schon seine (ihre) Pappenheimer?“ auf semiosis.at). Oder aber er bemühte sich, die FPÖ als eine ganz normale rechte Partei aussehen zu lassen – und das alles durch Edits und in Form von routinemäßigen Sichtungen.

Dinghofer – ein deutschnationaler Säulenheiliger

Ausgangspunkt für unser Interesse waren die Edit-Aktivitäten Pappenheims zum Wikipedia-Artikel von Franz Dinghofer2Mehr Details hierzu ebenfalls auf semiosis.at. Er arbeitet dort beim Versuch mit, aus Dinghofer einen deutschnationalen Säulenheiligen und Symbolfigur österreichischer Identität zu machen. Dabei verwendete er keine wissenschaftlichen Quellen, sondern graue Literatur (etwas Schriften aus einem Gymnasium) und Verweise auf die Homepage des FPÖ-nahen Dinghofer-Instituts, das sich niemals kritisch mit ihrem Namensgeber beschäftigt hat.

Zudem belegt auf Wikipedia bis heute – auf Vorschlag Pappenheims – eine Parlamentsveranstaltung des ehemaligen dritten FPÖ-Nationalratspräsidenten Martin Graf die angebliche historische Bedeutung Dinghofers. Im Verlaufe unserer Recherchen wird sich herausstellen, dass der wirkliche Pappenheim genau für jenen FPÖ-Politiker im Parlament gearbeitet hatte.

Sogar zeitgenössische Dokumente des Wirkens von Dinghofer fanden sich auf Wikipedia. Etwa dieses Zitat aus der Zeitschrift Deutsches Recht von 1938: „Dr. Dinghofer war Mitglied des alten österreichischen Abgeordnetenhauses, wurde dann als Führer der Großdeutschen Partei auch in den Nationalrat gewählt, wo er – ebenso wie nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik – stets für den Gedanken des Großdeutschen Reiches mit dem ganzen Einsatz seiner Persönlichkeit kämpfte.“

Oder aber der Verweis auf dessen Mitgliedschaft in der NSDAP. Ja, Dinghofer war tatsächlich Mitglied der Nazi-Partei, wir kennen Mitgliedsnummer und den Ausweis selber. All diese Informationen könnten das erstrebte Bild stören, einen deutschnationalen Baumeister der Republik zu konstruieren. Sie fehlten jedenfalls auf Wikipedia.

Was tut dieser Pappenheim sonst noch auf Wikipedia? Das war unsere nächste Frage. Er hatte ein auffälliges Interesse für Militärgeschichte, für die FPÖ, für Personen des Dritten Lagers, für den ehemaligen Nationalratspräsidenten Martin Graf, er machte Edits bei der Ibiza-Affäre genauso wie bei dem Personenartikel des Identitären-Chefs Martin Sellner. Dabei war ein Muster erkennbar: die NS-Verbrechen relativieren, die FPÖ als eine normale rechte Partei darstellen, die Identitären und andere rechtsextreme Gruppierungen verharmlosen. Solche Aktivitäten auf Wikipedia passieren nicht zufällig oder wegen zu viel Tagesfreizeit. Sie haben System.

Die „metapolitischen“ Aktivitäten Pappenheims

In unseren insgesamt drei Recherchen zu Pappenheim konnten wir eine systematische, politisch-ideologische Arbeit aufdecken. Und das mit einem für uns erkennbaren metapolitischen Ziel. Metapolitik im Sinne von Theoretiker_innen der Neuen Rechten (de Benoist, Mohlen) läuft auf eine Strategie des Kulturkampfes und der sogenannten Kulturrevolution von rechts hinaus. Es sollen „Felder im vorpolitischen Raum“ besetzt werden, so der rechte Theoretiker Karlheinz Weißmann. Wikipedia ist ganz offensichtlich ein riesengroßer und noch dazu virtueller vorpolitischer Raum, in dem um politische Bedeutungen und um politischen Sinn gekämpft wird. Genau dies tat Pappenheim leidenschaftlich.

Warum wurde die Person hinter Pappenheim wichtig?

Pappenheim ist also ein rechter Wikipedia-Aktivist, der sehr viel Zeit mit Editieren, Sichten und Schreiben verbrachte. Wir reden dabei über insgesamt 220 Artikel und 15.463 Edits im Verlauf von zwölf Jahren, nämlich von 2008 bis heute. Dabei fiel auf, dass er besonderen Zugang zu bestimmten Informationen hatte. Und zwar zu Personen aus dem FPÖ-Umfeld (Martin Graf, Heinz-Christian Strache) und zu militärhistorischen Objekten. Jedenfalls geschah es dann eher zufällig, dass uns sein wirklicher Name, Walter K., bekannt wurde. Er hatte ihn mit einem Foto von einem FPÖ-Event hochgeladen – ein Foto, das er selber angefertigt hatte.

Nun wurden die Recherchen zu Pappenheim genauer und dichter. Wir konnten sehen, wie er das berufliche, das politische und das ehrenamtliche Wirken auf Wikipedia verquickte. Wie das eine mit dem anderen sich verband und aus dem privilegierten Zugang zu Informationen und zu Bildmaterial ein Expertenstatus und damit seine Meinungsführerschaft in der Wikipedia gewachsen ist. Dabei verstieß die betreffende Person laufend gegen Wikipedia-Regeln, weil er den Interessenkonflikt niemals offengelegt hat. Spätestens dann, wenn er Bildmaterial von Objekten aus dem HGM auf Wikipedia platzierte, hätte er erklären müssen, dass er dies deshalb tun kann, weil er durch seinen Beruf direkten Zugang dazu hat. Aus dem politisch interessierten Militärhistoriker wurde mit der Zeit der Social-Media-Beauftragte des HGM. Alles, was mit dem Museum auf Wikipedia zu tun hat, ist mit seinem Namen verbunden.

Der akademische Maler Otto Jahn

Das alles mag als eine Kleinigkeit gewertet oder als Unachtsamkeit eingestuft werden. Vielleicht ist Walter K. ja auch gar kein großer strategischer und politischer Kopf, sondern nur ein untergeordneter wissenschaftlicher Mitarbeiter. Der tut, was ihm aufgetragen wird. Jedenfalls zählen für uns hier nicht die Absichten und Intentionen. Am Beispiel des Bildes LGM Trupp Sprung vorwärts von Otto Jahn, das im HGM groß ausgestellt wird und das auch von Pappenheim auf Wikipedia präsentiert wird, lässt sich das Ergebnis dieser metapolitischen Arbeit Pappenheims alias Walter K. ablesen. 

Auf Wikipedia wurde dieser Otto Jahn vor den Semiosis-Recherchen als ein österreichischer akademischer Maler präsentiert, über den man wenig weiß. Bis auf dieses Gemälde. Auch im Museum bringt ein weißer Zettel neben dem Bild wenig Aufklärung. Er verweist lediglich auf eine Ausstellung. In Deutsche Soldaten und ihre Gegner ist das Gemälde erstmals gezeigt worden.

Spätestens bei dieser Information hätten die Nachforschungen zu dem Bild beginnen müssen. Sowohl auf Wikipedia als auch im HGM. Möglicherweise ist dies geschehen. Nur wurde nichts davon publik gemacht. In Wahrheit, so haben die Semiosis-Recherchen in zeitgenössischen Medien ergeben (Völkischer Beobachter, Wiener Zeitungen), war Otto Jahn ein NS-Propagandamaler, der nicht nur mehrere NS-Propagandaschauen bebildert hat, sondern einige von ihnen mitorganisierte. Jahn war kein politisch missbrauchter akademischer Maler, der zufällig Militärmotive liebte und deshalb den „Sprung vorwärts“ auf die Leinwand brachte. Er war NS-Ideologe und geistiger Täter.

Pappenheim ist nicht allein

All dies gehört erklärt. In der Wikipedia wie im Museum. Doch ist das bislang nur in der Online-Enzyklopädie geschehen, als Reaktionen auf unsere Veröffentlichungen und gegen den Willen Pappenheims. In Sachen des HGM tagen vier Kommissionen und der Rechnungshof untersucht. Pappenheim ist mittlerweile auf Wikipedia Geschichte. Er hat den Antrag auf infinite Löschung gestellt und will auch nicht als Sockenpuppe (= Alias) oder mit einer IP-Adresse weiter schreiben.

Aber: Auf Wikipedia sind noch weitere rechte Aktivist_innen unterwegs. Sie schrecken nicht vor persönlichen Drohungen zurück. So erhielt mein Kollege „Elektrofisch“ vor kurzem über Wikipedia eine Mail, die eine versteckte Drohung gegen mich enthielt. „Hallo Elektrofisch, wie du ja weißt, fotografiere ich gerne für die Wikipedia. Leider habe ich bei der Veranstaltung HGM-neudenken den Sebastian Rheinfeldt verpasst. Offensichtlich hast du ja zu ihm ein sehr gutes Verhältnis und daher die Frage: Könntest du für mich bei ihm einen Termin ausmachen, damit ich ein schönes Brustbild von ihm machen kann? Gruß Klaus“

Auch wenn hier mein Name grausig falsch geschrieben wurde, nehme ich dieses Schreiben Ernst. Ihm ging eine Diskussion über den Rückzug von Pappenheim voraus, in deren Verlauf der Nutzer Elektrofisch kritisiert hatte, dass Wikipedia noch die Hinterlassenschaft von Pappenheim als Rucksack hat und dass die Enzyklopädie aktuell von Rechten für Fahndungsfotos von linken Intellektuellen benutzt werde, die sich zum HGM kritisch äußern. Konkret ging es um ein Foto von Walter Manoschek. Der Wikipedia-Autor, der dies hochgeladen hat, nennt sich Bwag. Er ist auch der Autor der Mail an Elektrofisch. Es geht also weiter.