MALMOE

Was die Revolution noch zu lösen hat

Der Befreiungskampf im Norden Syriens als Referenzort radikaler Bewegungen

In MALMOE 86 erschien ein Interview mit dem Aktivisten Ercan Ayboğa, Koordinator der Ökologiebewegung Mesopotamiens, über die Kampagne Make Rojova green again. Dieser Artikel berichtet ausführlicher darüber, was es damit auf sich hat, und bezieht sich auf das Buch zur Kampagne, das von der internationalistischen Kommune Rojava herausgegeben wurde.

Die Revolution im Norden Syriens, einem mehrheitlich von Kurd_innen bewohnten Gebiet, ist aus mehrfacher Hinsicht ein wichtiger und interessanter Referenzort radikaler Bewegungen. Nicht nur wegen der vertrackten geopolitischen Situation oder dem Kampf der Kurd_innen gegen den IS, sondern wegen der von der YPG vorangetriebenen tiefgreifenden gesellschaftliche Umwandlung in dieser Region. Das politische Leitkonzept ist der demokratische Konföderalismus, wie ihn der Kopf der PKK Abdullah Öcalan im Jahr 2005 deklarierte.

Dieses neue politische System, das als eine Spielart des libertären Konföderalismus bezeichnet werden kann, beruht auf drei Säulen – Gleichstellung der Geschlechter, Rätemacht und ökologische Erneuerung. Was die ersten beiden Säulen betrifft, ist einiges bereits diskutiert worden: Die kämpfenden Fraueneinheiten (YPJ), die Einführung von Frauenrechten und einer Frauenquote von 40 Prozent in der Verwaltung, die Bildung von Frauenhäusern und die paritätisch besetzten Rätestrukturen der kommunalen Verwaltung. Über das ökologische Gesicht der Revolution wurde jedoch weniger berichtet. Dabei kommt dem Kampf gegen die Naturzerstörung und Naturausbeutung eine wichtige Rolle im Aufbau einer neuen Gesellschaft zu. Die Internationalistische Kommune in Rojava hat deswegen Anfang 2018 zusammen mit den Kommunalen Komitees für Naturschutz und Ökologie die Kampagne Make Rojava green again ausgerufen.

Klima und Krieg

Ökologische Fragen sind nicht nur grundlegende Probleme, die die Revolution zu lösen hat, sie spielten auch zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs eine Rolle. Eine Studie von Colin Kelley (und anderen Forscher_innen) von der University of California in Santa Barbara weist auf Folgendes hin: In der Region des sogenannten Fruchtbaren Halbmonds, die sich vom Mittelmeer bis zum Persischen Golf entlang der Flussläufe von Euphrat und Tigris erstreckt und ein Winterregengebiet ist, gab es von 2006 bis 2010 eine heftige Dürreperiode. Auslöser waren neben der Klimaerwärmung – die Temperaturen stiegen dort seit Beginn des 20. Jahrhunderts um durchschnittlich 1,0 bis 1,2 Grad – und einer gleichzeitigen Abnahme der Niederschläge um zehn Prozent noch zwei weitere Faktoren. Zunächst die Landwirtschaftspolitik des Assad-Regimes – dieses förderte den wasserintensiven Anbau von Exportprodukten wie Baumwolle in jenen Gebieten. Ebenso eine Rolle spielte der von der Türkei massiv betriebene Staudammbau (insgesamt sind es 13 Dämme an den für Syrien so wichtigen Flüssen Euphrat und Tigris). Hinzu kam schließlich eine starke demografische Veränderung. Die Bewohner_innenzahl wuchs von vier (1950) auf 20 Millionen (2010), was einen steigenden Bedarf an natürlichen Ressourcen mit sich brachte. Einige der hier angeführten Faktoren, die für das explosive Gemisch, das den Krieg in Syrien zum Ausbruch brachte, mitverantwortlich waren, sind nach wie vor vorhanden. Die Lösung dieser sozialen und ökologischen Probleme steht auch im heutigen Rojava noch an.

Die ökologischen Herausforderungen

Für Assads Baath-Regime hatten ökologische Fragen keinen hohen Stellenwert. Die kurdische Region im Norden Syriens wurde als Kornkammer gesehen, riesige Monokulturen von Weizen und Oliven prägten das landwirtschaftliche Bild, Wälder wurden gerodet und das Holz für die Bauwirtschaft verwendet. Im Buch Make Rojava green again wird von einem „kolonialen Abhängigkeitsverhältnis“ gesprochen. Neben der Ausbeutung von Mensch und Natur gab es für die Bevölkerung der kurdischen Gebiete restriktive Beschränkungen. Es war etwa verboten, Bäume zu pflanzen und Gemüsegärten anzulegen. Wie in einer auf Monokultur basierenden Landwirtschaft üblich, wurde massiv auf den Einsatz von industriellen Düngemitteln und Pestiziden zurückgegriffen. In Rojava wurden sogar gesundheitsschädliche Mittel verwendet, die in anderen Ländern wegen ihrer Gefährlichkeit verboten sind. Die Zerstörung der Wälder förderte zusätzlich die Austrocknung der Böden, da die Baumwurzeln das Wasser im Boden halten und so für einen Nährstoffaustausch verantwortlich sind.

Bei dieser multiplen Problemlage müssen die ökologischen Überlegungen der revolutionären Bewegung in Rojava ebenso in mehrere Richtungen gehen. In den ersten Schritten geht es um die Diversifizierung der Landwirtschaft, um die Förderung von Pflanzen, die weniger Wasser benötigen, wie Linsen und Bohnen oder Früchte wie Mangos und Trauben, sowie um den Aufbau von subsistenzwirtschaftlichen Strukturen und einer biologisch nachhaltigen Anbauweise. Weitere Themen sind die nachhaltige Energieversorgung, die Müllentsorgung, das Recycling und die Luft- und Wasserverschmutzung.

Die internationalistische Kommune

Zu Beginn des Jahres 2017 gründeten Aktivist_innen aus der ganzen Welt, die zuvor bereits in unterschiedlichen Strukturen für die revolutionäre Bewegung in Rojava aktiv waren, die Internationalistische Kommune mit dem Ziel, die verschiedenen Aktivitäten zu koordinieren und neuen Aktivist_innen den Einstieg zu erleichtern. Das selbstorganisierte Kollektiv koordiniert seine Aktivitäten mit der Jugendbewegung von Rojava (YCR). Die drei Prinzipien sind Lernen, Unterstützen und Organisieren.

Ein erster Schritt wurde mit der Gründung der Internationalistischen Akademie getan, die nach Sehid Helen Qerecox benannt wurde, einer 26-jährigen YPJ-Kämpferin aus Großbritannien. Mit bürgerlichen Namen hieß sie Anna Campbell, gab ihr Englisch-Studium auf, arbeitete als Installateurin in Bristol, ging im Mai 2017 nach Rojava und wurde im März 2018 bei einem Luftangriff des türkischen Militärs in Afrin getötet. Sie steht symbolisch für eine Generation an jungen und global agierenden Aktivist_innen, die sich entschieden haben, für die Revolution in Rojava zu kämpfen und/oder sich dafür zu engagieren. Denn mit der Internationalistischen Kommune gibt es eine organisierte Form der Unterstützung jenseits von Kampfhandlungen. Die in dem Buch erwähnten konkreten Projekte sind die Gründung einer nicht an Profit orientierten Baumschule, ein Aufforstungsprogramm am Akademiegelände und die Bewahrung und Vergrößerung des Naturschutzgebietes in Hayaka. Vor allem aber soll die Kommune dem Wissenstransfer dienen, denn die Revolution in Rojava benötigt gerade zur Lösung der ökologischen Probleme Technik, Wissen und Geld. Das Wissen und die Erfahrungen, die heute in Rojava gesammelt werden, werden zukünftig auch für Aktivist_innen in Europa hilfreich sein.