MALMOE

Was sind „fremd-gemachte“ Männer?

Ein Interview mit dem Sozialwissenschaftler Paul Scheibelhofer

MALMOE traf sich mit Paul Scheibelhofer, um über sein jüngst erschienenes Buch Der fremd-gemachte Mann – Zur Konstruktion von Männlichkeiten im Migrationskontext und die dem zugrundeliegende Forschungsarbeit zu sprechen. Scheibelhofer beschäftigt sich damit , wie Ideen von „fremder Männlichkeit“ in Österreich konstruiert werden, wie mit diesen Konstruktionen repressive Migrationspolitiken legitimiert werden – und wie „fremd-gemachte“ Männer wiederum mit diesen, an sie herangetragenen Konstruktionen, umgehen.

MALMOE: Als ich den Titel deines Buches gesehen habe, war meine erste Frage natürlich: Was sind „fremd-gemachte“ Männer?

Scheibelhofer: Dieses „gemacht“ im Titel soll auf den Herstellungsprozess von Fremdheit verweisen. Personen sind nicht per se „fremd“ oder „eigen“, sondern es sind eben soziale Prozesse, die bestimmte Personen zu „Fremden“ machen. Diese Prozesse sind meistens auch vergeschlechtlichter Natur. In dem Forschungsprozess habe ich analysiert, wie bestimmte Männer zu fremden Männern gemacht werden, denn das sieht man auf ganz unterschiedlichen Ebenen: Politik, Medien, aber eben auch in der wisschenschaftlichen Forschung selber. Anschließend habe ich mir angesehen, wie Männer, die quasi ins Fadenkreuz dieser Diskurse kommen, damit umgehen und was sie dem entgegensetzen.

Wer genau macht denn überhaupt Männer „fremd“? Wer hat ein Interesse daran?

Um diese Dynamiken zu verstehen, habe ich mir die österreichische Migrationspolitik seit der sogenannten Gastarbeitermigration der 1960er angesehen. Und es hat mich selbst überrascht, dass man hier eine Geschichte der Konstruktion fremder Männlichkeiten nachzeichnen kann. Die Diskurse und die Zielgruppen verändern sich zwar, aber wir sehen immer wieder, dass Bilder problematisch fremder Männlichkeit politisch genutzt werden können, um restriktive Migrationspolitiken zu legitimieren. Zuletzt zeigte sich das im Rahmen der sogenannten Flüchtlingskrise. Dort waren Konstruktionen „gefährlicher Männlichkeit“ zentral dafür, politische Kontrolle nach dem „langen Sommer der Migration“ 2015 wiederzuerlangen. Der historische Blick zeigt jedoch, dass diese Diskurse nicht völlig neu sind, sondern auf ein Wissensarchiv zurückgreifen und es fortschreiben.

Werden Männer denn anders „fremd-gemacht“ als Frauen*?

Auf grundsätzlichen Ebenen gibt es große Parallelen, wenn es darum geht, männliche und weibliche Migrant*innen als Problem darzustellen. Aber die Art, wie das geschieht, unterscheidet sich oftmals. Dabei werden Frauen auch eher als Opfer ihrer Männer, Kultur, etc. dargestellt, während Männer als Täter erscheinen.

Wie gehen die Männer aus deiner Studie denn damit um, „fremd-gemacht“ zu werden?

Es ist eine qualitative Studie und sie will nicht den Anspruch erheben, für „die männlichen Migranten“ zu sprechen. Das wäre schon aus theoretischer Perspektive ein problematisches Ansinnen. Und es zeigte sich in der Forschungsarbeit auch auf empirischer Ebene, dass selbst in der vergleichsweise kleinen Gruppe, mit der ich geforscht habe, eine große Bandbreite an Ansichten, Taktiken und Strategien der Herstellung von Männlichkeit im Migrationskontext zu finden ist. Aber was die jungen Männer verbindet ist, dass sie sich ihres Status als „Fremde“ bewusst sind, weil sie ihn auf unterschiedliche Weise zu spüren bekommen. Sie alle müssen sich dazu verhalten und gehen dabei ganz unterschiedliche Wege. Da gibt es etwa eine Gruppe junger Männer aus einem „Problemviertel“, die viel Arbeit in die Verkörperung einer harten „Ghetto Männlichkeit“ investieren. Das Buch handelt aber auch von einem jungen Mann, der sich mit künstlerischen Mitteln mit der Frage von Männlichkeit und Fremdheit auseinandersetzt, dabei aber gerade durch seinen Erfolg wiederum mit Stereotypisierungen zu kämpfen hat. Solche widersprüchlichen Prozesse fanden sich öfters und sie dokumentieren die Widersprüchlichkeit der Lebenswelt der jungen Männer.

Du bist ja selbst kein „fremd-gemachter“ Mann und arbeitest aber über „fremd-gemachte“ Männer und Migration – wie reflektierst du da deine eigene Position als Forschender?

Die Auseinandersetzung damit hat mich über das ganze Projekt begleitet und es auf unterschiedlichen Ebenen geprägt. So beginnt das Buch mit einer kritischen Befragung der eigenen Disziplin und dem dort herrschenden Blick auf Migration und Männlichkeit. Was wird erforscht und welche Aspekte bleiben ausgeblendet? Durch diese Auseinandersetzung entwickelte ich ein Bild davon, welchen Weg ich in meinem Projekt gehen möchte. Schlussendlich habe ich dann manche Themen, die in dem Feld derzeit als „relevant“ und „interessant“ erscheinen, zum Beispiel das Thema „Islam“, explizit nicht ins Zentrum der Auseinandersetzung gestellt, um dafür Raum für alternative Blicke und Erkenntnisse zu schaffen.
Später gab es dann auch viele Momente, die Fragen zu meiner Positionierung im Forschungsprozess aufwarfen. So unangenehm diese auf den ersten Blick waren, zeigten sich darin oftmals spannende Dynamiken, sodass ich einige dieser Momente auch im Buch beschrieben habe. Da gibt es etwa den Künstler, der die Teilnahme an dem Projekt an eine Bedingung geknüpft hat: Er willigte ein, interviewt zu werden, wenn ich ihm für ein Projekt zur Verfügung stand, in dem er sich kritisch mit der Erfahrung des beforscht Werdens befasste. Nach ersten Zweifeln habe ich zugesagt und wir haben dann interessante Sessions gehabt, in denen wir uns abwechselnd interviewt haben, während seine Kamera alles gefilmt hat. Die Verunsicherung, die ich dabei spürte, nunmehr selbst zum „Forschungsobjekt“ gemacht zu werden, hat mir viel über Hierarchien und Kontrolle im Forschungsprozess vermittelt. Schlussendlich fand ich es dann aber auch für die wissenschaftliche Analyse gewinnbringend, dass mir damit die Kontrolle über meinen eigenen Text ein wenig aus der Hand genommen wurde.

Paul Scheibelhofer: Der fremd-gemachte Mann: Zur Konstruktion von Männlichkeiten im Migrationskontext, Springer VS, Wiesbaden 2018