MALMOE

Für einen queerfeministischen Antifaschismus

Der antifaschistische Widerstand gegen reaktionäre und faschistische Geschlechterpolitiken bleibt überschaubar. Fragen von Geschlechterverhältnissen und Sexualität sind zentral für Autoritarismus und Faschisierung, doch noch immer Randthemen antifaschistischen Aktivismus.

Spätestens seit der neuen türkis-blauen Bundesregierung sind die autoritären und reaktionären Tendenzen im politischen Klima in Österreich unübersehbar. Die Hetze, die FPÖ und Identitäre in Blogs und Medien platzierten, trugen sie zuerst ins Parlament, nun kommt sie sogar von der Regierungsbank. Die Linke, aber auch große Teile der liberalen bürgerlichen Öffentlichkeit sind schockiert angesichts des Angriffs auf die Rechte von Arbeitnehmer*innen und von Geflüchteten. Sie sehen sich einer Politik gegenüber, die nur ein Thema kennt: Flucht und Migration. Gleichzeitig jedoch besteht mit Türkis-Blau im Kontext breiterer völkischer und reaktionärer Tendenzen eine Formation, welche den radikalsten Angriffs auf Frauen* und Queers seit dem Nationalsozialismus darstellt.

Reaktionäre und völkische Geschlechter- und Sexualitätspolitiken

Der Versuch eine völkische und patriarchale Geschlechterpolitik umsetzen, steht auf der Agenda eines breiten frauen*- und queerfeindlichen Bündnisses aus fundamentalistischen Christ*innen, rechtsextremen Vereinen und Organisationen, Burschenschaften bis hin zu Spitzenpolitiker*innen der aktuellen Regierung.

So tummeln sich einerseits beim „Marsch für das Leben“ oder dem „Marsch für die Familie“ und vergleichbarer Veranstaltungen seit Beginn der 2010er Jahre fundamentalistische Christ*innen, Burschenschaftler, Identitäre und Politiker*innen rechter und extrem rechter Parteien Seite an Seite. Etwa mobilisierte der Obmann der rechtsextremen Österreichischen Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum gemeinsam mit der AfD den 1000 Kreuze für das Leben Marsch 2017 in Münster. Weiter teilt der Verein Okzident, der für den Marsch für die Familie mobilisiert, seine Adresse mit den deutschnationalen Burschenschaften Modavia, Ghibellinia, den Mädelschaften Nike und Freya und der Österreichischen Landsmannschaft. Das jahrelange Vorstandsmitglied Vincent Lichtenstein, des ebenso für den Marsch mobilisierenden Vereins Pro Vita, saß für die ÖVP im Nationalrat, dessen aktuelle Obmannstellvertreterin Edith Pekarek hält regelmäßige Vorträge bei der K.Ö.St.V. Gral Wien. Mathias von Gersdof, Obmann der Österreichischen Jugend christlicher Gemeinschaft deutschen Raumes, schreibt für die rechtsextreme Zeitschrift Junge Freiheit. Dies sind nur einige Beispiele um die personellen Überschneidungen und Verknüpfungen zwischen selbsternannten „Lebensschützern“ und anderen rechten und extrem rechten Strukturen.

Andererseits greifen hetzerische Regierungspolitiken und Einschüchterungsversuche auf der Straße durch frauen*- und queerfeindliche Aktivist*innen ineinander. Schwangerschaftsabbrüche noch immer nicht zu legalisieren, sondern lediglich Straffreiheit für diese zu gewähren und nun – wie im Regierungsprogamm vorgesehen – an Zwangsberatungen zu knüpfen, stellt die institutionelle Seite einer patriarchalen Politik dar, die den Körper von Frauen* als Gegenstand der Öffentlichkeit, letztendlich der Nation begreift. Diese in Gesetzen und Vorschriften seitens der parlamentarischen Kräfte vorgeschriebenen Restriktionen werden flankiert von frauen*verachtenden Diskursen bei den Aufmärschen von „Lebensschützern“. Sie werden ergänzt von Predigten und Verlautbarungen reaktionärer Geistlicher und dem als „Gehsteigberatung“ beschönigten Psychoterror, der vor Schwangerschaftsabbruchskliniken durch Vereine wie Pro Vita durchgeführt wird und für Personen, die sich zum Schwangerschaftsabbruch entschieden haben eine entsetzliche Belastung ist. Unterdessen fabulieren die Identitären Annika Stahn und Martin Sellner im Chor mit den Organisator*innen des Marschs für die Familie über die „Naturgegebenheit“ und essentielle Verschiedenheit von Mann und Frau und propagieren reaktionäre Familienbilder. Zeitgleich zielt die antifeministische Kürzungspolitik der aktuellen Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß (ÖVP) darauf, feministischen Aktivismus und entsprechende Gegendiskurse zu brechen und feministische Institutionen zu schädigen.

Jene Überschneidungen sind nicht zufällig, sondern in gemeinsamen politischen Projekten begründet. Wie Feminist*innen, Antirassist*innen und Wissenschaftler*innen in jahrzehntelanger Analysearbeit unübersehbar deutlich gemacht haben, sind rassistische und völkische Bevölkerungs- und Geburtenpolitiken zentral für die Agenden rechter und rechtsextremer Parteien und Organisationen. Die obsessive Kontrolle der Körper und der Sexualität, insbesondere von Frauen* war ebenso Teil der Ideologien des Nationalsozialismus oder der White Supremacy in den USA, wie sie nun essentiell für aktuelle faschistische und rechte Bestrebungen ist. Darüber hinaus haben feministische Analysen herausgearbeitet, wie zentral die Ausbeutung von Frauen*körpern über sexuelle Arbeit, das Gebären und Erziehen von Kindern, Sorgetätigkeiten in Form kaum oder nicht bezahlter „Arbeit aus Liebe“ für kapitalistische Wirtschaftsformen sind. Sie haben gezeigt, wie die Zuspitzung der Ausbeutung von Arbeitskraft und der Angriff auf den Sozialstaat im Neoliberalismus, wie ihn nun auch Türkis-Blau vollzieht, nicht zu trennen ist von reaktionären Geschlechter-, Sexualitäts- und Familienideologien und der erneuten Zuweisung der Reproduktionsarbeit in die Familie. Auch wurde deutlich, dass der jüngste Angriff auf nicht hetero- bzw. homonormative Lebens- und Begehrensformen in unmittelbarem Kontext dieser Refamiliarisierung und einer für autoritäre Regierungen so typischen Politik des autoritären Neoliberalismus und der sozialen Kontrolle steht.

Den Queerfeministischen Antifaschismus auf die Straße tragen

Wenngleich der Antifeminismus sowie das frauen*- und queerfeindliche Geschlechterbild und die damit verbundenen Politiken zunehmend Gegenstand antifaschistischer feministischer Analyse werden und dank dieser auch in antifaschistischen Kreisen bekannt sind, bleibt der Widerstand gegen diese reaktionären Ideologien durch Antifaschist*innen, insbesondere Antifaschisten*, überschaubar. Kaum hundert Gegendemonstrant*innen fanden sich gegen den Marsch für die Familie ein. Der Kampf gegen die antifeministischen, frauen*- und queerfeindlichen Ideologien, Praktiken und Strukturen des wieder erstarkenden Faschismus bleibt dabei zumeist Frauen* und Queers* überlassen. Noch immer erscheinen im antifaschistischen Aktivismus Fragen von Sexualität von Geschlecht oftmals als „Nebenwiderspruch“  über 50 Jahre nach dem Tomatenwurf Helke Sanders auf der Delegiertenkonferenz des SDS oder den fast eben solange vergangenen Riots in Stonewall bildet sich nur quälend langsam ein Bewusstsein.

Wann also folgen aus den Erkenntnissen über ideologische, politische und personelle Überschneidungen zwischen reaktionären Bündnissen wie Marsch für das Leben und extrem rechten und faschistischen Strukturen und Regierungspolitiken praktische Konsequenzen für die Mehrheit von Antifaschist*innen, insbesondere Antifaschisten*? Wann endlich schlägt sich die jahrzehntelange Analysearbeit von Feminist*innen, Queers, sowie Antirassist*innen und Aktivist*innen of Color über die Verstrickung des Zugriffs auf Frauen*körper und Sexualität und rassistischer und völkischer Politik nieder in breiter antifaschistischer Praxis? Weil Antifaschismus neben Recherche und Analyse zugleich Handarbeit bedeutet – und dies gerade angesichts der aktuellen politischen Verhältnisse –, ist die Antwort auf diese Fragen auch auf der Straße zu suchen: so bei den Protesten gegen die Märsche für das Leben im November und Dezember. Hier ist die möglichst breite Solidarität aller Antifaschist*innen gefragt!