MALMOE

Wir haben gestreikt!

Ein Interview mit Selma Schacht

Selma Schacht ist freigestellte Betriebsratsvorsitzende für fast 1500 Beschäftigte bei dem Verein Wiener Kinder- und Jugendbetreuung. Darüber hinaus ist sie bei der kommunistischen Gewerkschaftsinitiative KOMintern. Selma Schacht war an den Kollektivvertragsverhandlungen (KV-Verhandlungen) mit der Sozialwirtschaft Österreich beteiligt.

MALMOE: Wie überraschend kam für dich der Streik?

Selma Schacht: Ich hätte kurz vor Weihnachten nie darauf gewettet, dass wir streiken. Es herrschte nirgends die Einschätzung, dass sich das so schnell radikalisieren würde.

Auf der anderen Seite sieht man schon, dass gerade jene Betriebe, die in Vernetzungen sind, sich auch aktiv am Streik beteiligt haben. Das heißt, je mehr Betriebsräte und Belegschaft in überbetriebliche Vernetzungen eingebunden waren, desto eher sind dort Mehrheiten für Streik und aktive Streikkomitees entstanden. Insofern war es zwar erstaunlich, dass es zu diesem Streikbeschluss kam, aber es war etwas, was nicht alle komplett überrascht hat. Wir haben dann einfach gesagt: „Ok, machen wir‘s!“ Weit mehr überrascht war die Gewerkschaft.

Kannst du darauf genauer eingehen?

Es ist traurig und wirklich erschreckend, wie wenig Wissen auf hauptamtlicher Gewerkschaftsseite über Streik, Streikrecht, über Strategiebildung und Mobilisierung von Beschäftigten im Betrieb überhaupt da ist. Das werfe ich nicht den regionalen Sekretär_innen vor, sondern das ist ein strukturelles Problem. Die Gewerkschaft sieht sich noch immer in ihrer sozialpartnerschaftlichen Rolle als starke Partnerin der Wirtschaft, sonst hätte sich schon mehr getan.

Wie liefen die Verhandlungen ab?

Die Arbeitgeber sind mit sehr harten Forderungen an die KV-Verhandlungen herangegangen, Themen wie Arbeitszeitverkürzung haben sie vollkommen außer Acht gelassen und man hat schon gemerkt, dass sie damit spielen, was im Regierungsprogramm steht: bestimmte Flexibilisierungsforderungen, Arbeitszeitverlängerung, 12-Stunden-Tage und so, wo klar war, die haben Rückenwind durch die allgemeinen politischen Rahmenbedingungen. Aber auch auf gewerkschaftlicher Seite ist eine härtere Linie gefahren worden als sonst: Alle Termine, die für die KV-Verhandlungen ausgemacht waren, wurden ausgeschöpft, es gab sogar Extratermine. Das hat es – also jedenfalls seit ich dabei bin und das ist schon relativ lang – nie gegeben.

Ein zentraler Punkt bei den Verhandlungen war das Thema Arbeitszeit, wie lief das ab?

Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung ist bei den Gewerkschaften keine Normalität mehr, wobei jede_r weiß, dass das eine der grundlegenden gewerkschaftlichen Forderungen ist.

Es war eines der Hauptthemen und es war die Hauptenttäuschung bei den Beschäftigten, dass dies von der Gewerkschaftsspitze fallengelassen worden ist. Da war einfach eine irrsinnig große Enttäuschung und Wut, was auch damit zu tun hat, dass das Thema alle verbindet. Arbeitszeitverkürzung ist im Interesse aller Beschäftigten und deswegen ist es auch so eine spannende Forderung.

Wie weiter? Kampfmaßnahmen für die 35-Stunden-Woche?

 Ich kann mir nicht vorstellen, dass es ohne Kampfmaßnahmen gehen wird, denn die Verhältnisse werden sich jetzt nicht bessern. Die Finanzierung des Sozialbereiches wird immer schwieriger. Eh klar, durch Schwarz-Blau, aber auch durch die rot-grünen Landesregierungen werden die Geldhähne immer mehr zugedreht. Die Handlungsspielräume werden dadurch immer enger, insofern kann ich sagen, dass die Kämpfe auf der anderen Seite ausgeweitet werden müssen. Es wird nicht ohne gehen.

Was waren Besonderheiten des Streiks?

Bei der Demonstration auf der Mariahilfer Straße im Jänner waren Angestellte teilweise zum ersten Mal auf einer Demonstration überhaupt. Und das auch noch in der Arbeitszeit, das muss man ja auch mal irgendwie durchkämpfen am eigenen Arbeitsplatz.

Und sonst hat auch keine_r Streikerfahrung gehabt, für uns und für die Beschäftigten, die da mitgemacht haben, war das ja alles neu. Das ist etwas, was uns keiner mehr nehmen kann, diese Erfahrung der Leute, die sagen: „Wir haben gestreikt!“

Es ist auch spannend, weil man ja immer so theoretisch über Klassenbewusstsein redet oder wie sich eine soziale Klasse herausbildet. Und da hat man fast zuschauen können, wie das passiert. Man merkt das auch jetzt, wenn man mit Kolleg_innen redet: „Ja, wir wollen dies und dies durchbringen“, und dann wird gesagt: „Na ja, wenn wir das nicht kriegen, dann streiken wir halt!“

Warum kam es nicht zu einem weiteren Streik?

Der Warnstreik war ja etwas, was wirklich von der überwiegenden Mehrheit und auch gewerkschaftlich mitgetragen wurde. Aber der zweite Schritt wäre eben ja noch viel stärker gewesen: eine zeitliche Ausweitung, die nicht mehr Warnstreik, sondern ein „echter“ Streik ist, mit viel mehr Standorten und Einrichtungen, öffentliche und überbetriebliche und vor allem  dann das Ganze noch ein weiteres Mal. Die Gewerkschaft hat den Warnstreik einfach nur als Symbol gesehen und nicht als Kampfform. Nach dem Motto: „Wir können, wenn wir wollen, aber eigentlich wollen wir eh nicht.“

Berichterstattungen fallen bei Streiks immer spärlich aus, was für Herausforderungen gibt es dort?

Man muss selbst Öffentlichkeit schaffen. Und das haben wir den Gewerkschaften vorgeworfen, dass kein Wert darauf gelegt wurde, Öffentlichkeit zu schaffen, indem man eben öffentlichen Raum während eines Streiks in Besitz nimmt und die Betriebe verlässt.

Eine der Schwächen dieses Streiks war, dass man nicht gewusst hat, wo was passiert. Außer jenen, die halt Leute kennen, die durch Vernetzungen etwas erfahren haben und das dann in den eigenen Betrieb getragen haben. Durch die Gewerkschaft ist das nicht gekommen und eigentlich wäre das ihre Aufgabe. Sie sollte Dreh- und Angelpunkt sein für Informationen, diese Informationen sammeln und weiterleiten. Das ist der Sinn einer kollektiven Organisation und da hat sie einfach vollkommen versagt.

Eine Einschätzung von der Streikbewegung?

Das Wissen ist gesammelt und bestimmte Dinge sind ausgestritten worden und die braucht man nächstes Mal nur reaktivieren. Die Streikbewegung ist zwar abgewürgt worden in dieser letzten Verhandlungsrunde und trotzdem: Dass gestreikt worden ist, ist irrsinnig positiv. Dass dieser zweite Warnstreiktag anvisiert worden ist, hat den Bewusstseinsstand in der Branche wahnsinnig angehoben und den Wissensstand unter denen, die da auch politisch mehr unterwegs waren. Ob sie jetzt in Betriebsratsgremien sind oder Streikkomitees gebildet haben. Das ist wirklich unbezahlbares Wissen, das wir auch für andere Kämpfe brauchen.

Dazu kommt, dass durch die Arbeitsintensivierung die Leute oft überhaupt keinen Kopf mehr haben, außerhalb ihres Arbeitsrahmens politisch tätig zu sein. Deswegen ist es auch nicht unwichtig, dass wenn gestreikt wird, dann innerhalb der Arbeitszeit. Eine alleinerziehende Mutter, die nur innerhalb ihrer Arbeit was tun könnte, weil sie sich außerhalb um ihre Kinder kümmern muss, die kannst du so in einen Streik einbinden.