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  Privatisierung des ­Menschenrechts

Während die FPÖ sich ihren Lagerfantasien hingibt, wittern ÖVP-nahe Firmen unterdessen gute Geschäfte mit der Unterbringung von Schutzsuchenden

„Die Situation in Traiskirchen darf nicht die Zukunft der Flüchtlingsbetreuung in Österreich werden.“(1) Mit diesen Worten beginnt Amnesty International im August 2015 den Bericht der „Mission Traiskirchen“, der die untragbaren Zustände in der völlig überfüllten „Erstaufnahmestelle Ost“ dokumentiert. Über 1.500 Menschen mussten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im Freien schlafen. Die vom Innenministerium mit der Betreuung beauftragte Firma ORS (Organisation für Regie und Spezialaufträge) scheiterte an der grundlegenden Versorgung der Menschen mit Essen, Trinkwasser und Informationen. Gleichzeitig lehnte sie die Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft, NGOs, wie etwa den vor Ort aktiven „Ärzte ohne Grenzen“ ab und gab sich alle Mühe zu unterbinden, dass genauere Informationen über die Zustände im Lager nach außen drangen.

Die damalige Innenministerin Mikl-Leitner wies die Verantwortung für das Chaos von sich und beklagte beständig die fehlende Bereitschaft der Gemeinden in den Bundesländern, Menschen aufzunehmen. Anstatt längerfristig nutzbare Quartiere aufzutreiben, ließ sie lieber Zelte aufstellen und zog in Betracht, Notunterkünfte in Form von „Traglufthallen“ aufblasen zu lassen. Das Scheitern der Regierung, Menschen auf der Flucht Hilfe und Schutz zu bieten – ob nun aus Unfähigkeit, Überforderung oder schlicht fehlendem politischen Willen – half schließlich jene Bilder einer schier nicht mehr zu bewältigenden Masse an Menschen, der sogenannten „Flüchtlingskrise“ zu produzieren, die dann zum zentralen Thema im Wahlkampf wurden. ÖVP und FPÖ nutzen diese Bilder, um ihr hartes Vorgehen gegen Geflüchtete zu legitimieren. Aktuell denkt vor allem die FPÖ laut darüber nach, die Flüchtlingsbetreuung wieder in die Verantwortung des Bundes zu übertragen und Geflüchtete in Massenquartieren unterzubringen. Gewinnorientierte Firmen wie ORS, private Sicherheitsfirmen und Herstellerfirmen mobiler Notunterkünfte wittern gute Geschäfte.

Gewinnorientierung in der Flüchtlingsbetreuung

Wie kommt man eigentlich auf die Idee, die Versorgung von Menschen in Notsituationen an eine gewinnorientierte Firma auszulagern? Wie lassen sich hier Profite machen – und vor allem rechtfertigen? Die Voraussetzungen für das „selbstverschuldete Systemversagen“ (so Amnesty International) von 2015 wurden bereits von Schwarz-Blau I geschaffen. Damals wie heute orientiert sich die schwarz-blaue Regierung an neoliberalen Managementtheorien aus der Privatwirtschaft, dem handlungsleitenden Dogma vom „schlanken Staat“ und der durch zahlreiche Fails in der Praxis auch schon seit mindestens zehn Jahren diskreditierten Logik, dass gewinnorientierte, private Unternehmen staatliche Aufgaben effizienter erledigen könnten. Diese vermeintliche „Entpolitisierung der Verwaltung“ lässt außer Acht, dass im öffentlichen Sektor neben der Orientierung am Gemeinwohl auch Nachvollziehbarkeit, Transparenz und Legalität Vorrang vor niedrigen Kosten und Schnelligkeit haben sollten. (2)

Auf Betreiben des damaligen ÖVP-Innenministers Ernst Strasser (dem seine „Cash-For-Laws“-Amtsauffassung später drei Jahre Haft einbrachten), wurde der Auftrag für die Flüchtlingsbetreuung des Bundes 2004 an die deutsche Firma European Homecare übergeben. Gegenüber der staatlichen Verwaltung habe ein privates Unternehmen den Vorteil einer „schlanken Verwaltung“ mit „kurzen Entscheidungswegen“, um so besonders „flexibel“ auf die sich verändernden Erfordernisse in der Betreuung von Flüchtlingsunterkünften eingehen zu können. Die ersten Skandale und Misshandlungsvorwürfe ließen nicht lange auf sich warten. 2012 kündigte European Homecare schließlich selbst den Vertrag auf, da die Betreuung bei normaler Auslastung keine ausreichenden Gewinne abwarf.

Nach dem Rückzug von European Homecare gelangte die Flüchtlingsbetreuung 2012 erneut zur Ausschreibung. Die Firma ORS, Tochterfirma eines Schweizer Konzerns, bekam den Zuschlag und erhielt von der Republik Österreich einen unbefristeten (!) Vertrag. Ein Konsortium mehrerer österreichischer NGOs hatte eine Bewerbung zurückgezogen, da die Betreuung für sie mit den zur Verfügung gestellten Mitteln nicht mehr machbar war.

Die Umstände der Vertragsvergabe an ORS sind undurchsichtig. Es waren in erster Linie parlamentarische Anfragen der Grünen-Abgeordneten Alev Korun, die Druck zur Veröffentlichung des Vertrags machten. Bis heute sind diese Anfragen aber nur unvollständig beantwortet, insbesondere jene zur Finanzierung und Evaluierung. Alev Korun sagte hierzu im Gespräch mit MALMOE: „ÖVP-Minister mussten aufgrund der parlamentarischen Anfragen zugeben, dass es für private Unternehmen eine Sockelfinanzierung gab. Was sie bis heute verschweigen, ist, wie hoch dieser Sockelbetrag ist. Auch was die Geheimhaltung der Verträge betrifft – das ist ganz typisch neoliberale Politik, dass sie sagen, das ist ein Vertrag mit einer privaten Firma, das hat die Öffentlichkeit nicht zu interessieren, das geht nicht aus Datenschutzgründen [..] Wenn die Erkenntnis ist, es braucht eine Sockelfinanzierung, weil die Zahl von Schutzsuchenden ja variiert, warum gibt es diese dann nicht auch für die NGOS?“

Für ORS hatte das Chaos in Traiskirchen nicht nur keine negativen Konsequenzen, im selben Jahr konnte das Unternehmen Gewinne von 2,5 Mio. EUR verzeichnen – denn mehr Flüchtlinge bedeuten mehr Gewinne, unabhängig von der Qualität ihrer Unterbringung. Im Dezember 2016 kündigte das Innenministerium die Zusammenarbeit mit der Caritas in der Betreuung von Geflüchteten am Flughafen auf. In der Folge ging auch der Flughafensozialdienst an ORS, das nun sämtliche Einrichtungen des Bundes in der Flüchtlingsbetreuung führt. Das Innenministerium begründet das damit, dass der Vertrag mit der Caritas ausgelaufen sei, während ein aufrechter Rahmenvertrag mit ORS bestanden habe.

Der Staat gibt die Verantwortung ab

Mit dem Schubhaftzentrum in Vordernberg wurde zum ersten Mal auch die Unterbringung von Schubhäftlingen vom Staat ausgelagert. Die Ausschreibung durch die Gemeinde Vordernberg war so stark auf das Unternehmen G4S zugeschnitten, dass es am Ende keine weiteren Bieter_innen gab. Unter anderem wurde aus unerfindlichen Gründen ein Jahresumsatz von mindestens 20 Mio. Euro gefordert und eine Unternehmenszertifizierung, die die vier großen Sicherheitsfirmen (G4S, Securitas, ÖWD und Siwacht) selbst eingeführt haben. Obwohl angeblich nur Verwaltungstätigkeiten ausgelagert werden sollten, waren die Ausschreibungskriterien so gehalten, dass nur Sicherheitsfirmen in Frage kamen. Das Schubhaftzentrum wurde trotz der Prognose einer sinkenden Zahl von „Anzuhaltenden“, ohne den Plan einer alternativen Nutzung gebaut, der Vertrag mit G4S für 15 Jahre abgeschlossen. Die Auslastung geht phasenweise gegen Null, wie die Zahlen in der Beantwortung der parlamentarischen Anfragen durch Sobotka und Mikl-Leitner bestätigen.

Besonders problematisch sind aber die dabei offenen Fragen: Wer ist im Beschwerdefall, bei Übergriffen gegen Schubhäftlinge zuständig? Wer haftet bei menschenrechtlichen Problemen? Der Staat gibt hier Kernaufgaben aus der Hand, zu denen eben auch die Gewährleistung der Sicherheit der Menschen in Schubhaft gehört. Im Fall von Übergriffen gibt es „keine direkte Möglichkeit mehr (…), ein staatliches Organ verantwortlich zu machen“, so der Sozialexperte und stellvertretende Direktor der Diakonie Martin Schenk. (3) Schubhäftlinge könnten dann nur mehr gegen einzelne G4S-Mitarbeiter_innen zivil- und strafrechtlich vorgehen. Der Staat gibt damit seine Verantwortung in einem menschenrechtlich höchst sensiblen Bereich ab. Zudem könnten Privatisierungen im Bereich des Asylwesens den Weg für Privatisierungen in anderen Bereichen ebnen. „Der nächste Schritt wäre dann zum Beispiel wie in Großbritannien und den USA die Privatisierung des Strafvollzugs“, sagt Alev Korun.

Auffällig ist auch das Naheverhältnis der ÖVP zu den Firmen ORS und G4S: „Der Zufall will es auch, dass der jetzige G4S-Chef Matthias Wechner als Vizekabinettchef unter Ex-Innenminister Platter diente. Und Ernst Strasser nach seinem Ministeramt jahrelang im Aufsichtsrat von G4S saß“, schreibt dazu Martin Schenk. Im Herbst 2017 wurde die Einrichtung eines Advisory Boards bei ORS bekannt gegeben, dem auch der ehemalige ÖVP-Chef Michael Spindelegger angehört. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit ORS war er Vizekanzler in einer rot-schwarzen Koalition. (4)

Absichtserklärungen im neuen Regierungsprogramm

Im neuen schwarzblauen Regierungsprogramm finden sich eine ganze Reihe menschenverachtender und auch menschenrechtswidriger Verschärfungen im Asyl- und Fremdenrecht (u. a. Abnahme von Bargeld, Zugriff auf Handydaten, Verkürzung von Beschwerdefristen). Angesichts von durchschnittlich mindestens einer Novellierung (sprich: Verschärfung) pro Jahr hat sich die neue Regierung eine vollständige Neukodifizierung des Asyl- und Fremdenrechts vorgenommen. Der temporäre Charakter des Asylstatus („Asyl auf Zeit“) wird dabei ständig betont – geflüchtete Menschen sollen hier nicht Fuß fassen (können). Wenn Innenminister Herbert Kickl Asylwerber_innen „konzentriert an einem Ort halten“ möchte, ist daran nicht nur das provokante Wording hochproblematisch. Schutzsuchende sollen unter ständiger Kontrolle und Beobachtung stehen. Deutlich wird, dass diese Maßnahmen darauf abzielen, Asylwerber_innen weitgehend von der übrigen Bevölkerung zu isolieren. Die Versorgung von Schutzsuchenden soll zurück zum Bund gehen und die Möglichkeit der privaten Unterbringung unterbunden werden. Trotz der Ankündigung im Regierungsprogramm, eine „nicht auf Gewinn ausgerichtete Betreuung“ anzustreben, deutet vieles darauf hin, dass NGOs weiter aus diesem Bereich verdrängt werden sollen.

Dezentrale Unterbringung in privaten Unterkünften ermöglicht Schutzsuchenden nicht nur, in normalen Lebensumständen und hier anzukommen – es ist auch deutlich billiger. Die Unterbringung in „Grundversorgungszentren“ zu organisieren, wie das der FPÖ vorschwebt, würde bedeuten, dass entweder bestehende Gebäude teuer angemietet oder neue Gebäude errichtet werden müssen, beispielsweise in Form von sogenannten „modularen Unterkünften“ oder Containersiedlungen (wie z. B. in Langauen bei Villach). Wieder winken fette Aufträge für Privatfirmen.

Abschottung mit allen Kosten

In der Neuauflage von Schwarz-Blau setzen ÖVP und FPÖ auf Abschottung von Schutzsuchenden in Massenquartieren, mit allen zu erwartenden Konflikten, sozialen und auch ökonomischen Kosten. Wie stark das System im Asylbereich organisatorisch umgekrempelt wird und ob sich hier letztlich zwischen ideologischen Positionen der FPÖ und marktradikalen Interessen der ÖVP Konflikte auftun, lässt sich noch schwer abschätzen. Weitere Aufträge für Firmen wie ORS sind jedenfalls zu erwarten. Dabei zeigt das Beispiel Traiskirchen eindrucksvoll, dass der „schlanke Staat“ in Partnerschaft mit privaten Unternehmen entgegen allen Werbeversprechen sich eben nicht „flexibel“ an Fluchtbewegungen und humanitäre Krisen anpasst. Mit einem funktionierenden Asylsystem ließen sich aus Sicht der ÖVP und FPÖ aber auch keine Wahlkämpfe gewinnen.


(1) Amnesty International Österreich: #missiontraiskirchen, www.amnesty.at/de/traiskirchen-bericht

2) vgl. dazu Wolfgang Drechsler: Aufstieg und Untergang des New Public Management, in: Kurswechsel Nr. 2/2008

3) Martin Schenk: Traiskirchen: „Wir sind nur Dienstleister“ Kommerzialisierung und Zähmung von Flüchtlings- und Sozialarbeit, in: Kurswechsel Nr. 4/2015

4) Spindelegger ist heute Präsident des International Centre for Migration Policy and Development (ICMPD). Sein CV auf der Website des ICMPD erklärt, was ihn als Experten für Migrationsfragen ausweist: Als Vizekanzler hat er ein Integrationsstaatssekretariat mitbegründet (von Sebastian Kurz geführt und zwei Jahre später wieder aufgelöst) und Rücknahmeabkommen mit der afghanischen Regierung ausverhandelt.

online seit 02.05.2018 17:19:55 (Printausgabe 82)
autorIn und feedback : Bernadette Schönangerer




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