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  Schauprozess gegen die Röszke11

Ein Update zur ungarischen Abschottungspolitik (September 2017, aus: MALMOE #80)

Donald Trump mag sich eine Mauer wünschen, der ungarische Regierungschef Viktor Orban hat bereits eine gebaut, kommentierte die Washington Post vergangenen Oktober, anlässlich Orbans Referendum über die EU-Flüchtlingspolitik - nicht zu Unrecht. Die ungarische Regierung ließ 2015 einen 175km langen Zaun zwischen Ungarn und Serbien errichten, der wenig später entlang der Grenze zu Kroatien erweitert wurde. Die Fertigstellung des Zauns und damit die physische Schließung der Grenze fiel mit einer Verschärfung des Asylgesetzes im September 2015 zusammen, das den Grenzübertritt kriminalisiert und mit einer Strafe von bis zu drei Jahren Haft bedroht.

Als Ungarn schließlich am 16. September 2015 die Grenze zu Serbien von einem Tag auf den anderen dicht machte, eskalierte die Situation am Übergang Röszke-Horgos, wo mehrere tausend Menschen gewaltsam eingekesselt wurden. Bei Protesten und im Versuch, aus dieser Lage auszubrechen, wurden willkürlich elf Menschen verhaftet, darunter eine ältere Frau und ein Mann im Rollstuhl. In einem Schauprozess wurden sie verschiedener Delikte, vom „illegalen Grenzübertritt“, der Beteiligung an einem Massenprotest bis hin zu „terroristischen Aktivitäten“ schuldig gesprochen.

Die meisten der sogenannten „Röszke 11“ haben in der Zwischenzeit eine mindestens einjährige Haftstrafe abgesessen. Im Berufungsprozess im Februar 2017 wurden die Urteile – für neun von ihnen in Abwesenheit, sie haben Ungarn mittlerweile verlassen – trotz grober Verfahrensmängel bestätigt. Unter anderem wurden entlastende Videobeweise nicht im Verfahren zugelassen und eine der ÜbersetzerInnen später gerichtlich verurteilt, weil sie nachweislich Aussagen der Angeklagten falsch und zu ihrem Nachteil wiedergeben hatte.

Yamen A., dessen Haftstrafe von drei auf zwei Jahre reduziert wurde, konnte im Juni 2017 auf Bewährung freikommen. Immer noch inhaftiert ist Ahmed H., ein Syrer, der bereits seit 2006 mit seiner Familie in Zypern lebt und an die Grenze gekommen war, um seine Eltern zu begleiten. Als vermeintlicher Anführer des Aufruhrs (er benutzte ein Megaphon) und für das Werfen von drei Gegenständen in Richtung der Polizei wurde er zu 10 Jahren (!) Haft verurteilt. In seinem Berufungsprozess im Juni 2017 hatte die Anklage eine nochmalige Erhöhung auf eine lebenslängliche Strafe gefordert. Das Gericht hob das Urteil schließlich auf, der Vorwurf des „Terrorismus“ sei zu prüfen, und verwies den Fall an die erste Instanz zurück. Ahmed H. befindet sich nun seit bereits zwei Jahren in U-Haft, im Oktober wird sein Fall neuerlich verhandelt.

Asylrecht faktisch abgeschafft

Unterdessen schreitet in Orbans Ungarn die Militarisierung der Grenzen und die Kriminalisierung von Grenzübertritten weiter voran. Seit November 2016 können sich Interessierte für eine neue Einsatztruppe mit der martialischen Bezeichnung „Grenzjäger“ (határvadász) ausbilden lassen, die den neuen Zaun an der serbisch-ungarischen Grenze bewachen sollen. Um dies besonders schmackhaft zu machen ist der Jobeinstieg deutlich höher dotiert als im regulären Polizeidienst.

Im März 2016 wurde in Ungarn der Ausnahmezustand ausgerufen, inzwischen ist zudem ein Sondergesetz in Kraft, das es erlaubt, Menschen, die innerhalb der acht Kilometer breiten Grenzzone aufgegriffen werden, direkt nach Serbien abzuweisen, ohne ihnen die Möglichkeit für einen Asylantrag zu geben – ein klarer Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention. Die Regierung unter Orban beruft sich mit Dublin III darauf, dass alle Geflüchteten, die Ungarn über den Landweg erreichen, aus sicheren Drittstaaten kommen und daher keinen Anspruch auf Asyl haben.

Im März 2017 wurde die Asylgesetzgebung neuerlich verschärft: Menschen, die in Ungarn einen Asylantrag stellen, sollen bis zur Erledigung ihres Verfahrens in Lagern an der Grenze interniert werden. Insgesamt ist die legale Einreise für Geflüchtete nur noch an vier sogenannten „Transitzonen“ möglich, zwei davon an der serbischen Grenze, in Röszke und Békéscsaba. Pro Tag dürfen maximal 30 Personen einreisen. Im geschlossenen Flüchtlingslager von Békéscsaba traten inhaftierte Refugees gegen diese untragbare Behandlung und die schlechten Haftbedingungen in Hungerstreik. „We are refugees, we are not terrorists“ schrieben sie auf ein Banner, das sie an einem Fenster hochhielten. Sie protestierten damit gegen den (nicht nur) in Ungarn dominanten und von Orban gezielt forcierten Diskurs, der Flucht unmittelbar mit Kriminalität und Terrorismus verknüpft.

Im vergangenen Oktober ließ Orban ein Referendum darüber abhalten, ob seine Regierung der Umverteilungsquote in der EU – Ungarn sollte etwa 1300 Flüchtlinge aufnehmen – zustimmen oder diese ablehnen sollte. Das Referendum brachte zwar 98% Zustimmung für Orbans Position, jedoch lag die Beteiligung bei unter 50%. Ungarn reichte beim Europäischen Gerichtshof Klage gegen die Umverteilungsquote ein.

Die EU soll zahlen

Für bittere Erheiterung sorgte Viktor Orbans Forderung an die EU, diese solle dem ungarischen Staat die Hälfte der Ausgaben von 800 Mio. EUR für Grenzzaun und Ausbildung von 3000 Grenzjäger_innen ersetzen. Von Seiten der EU, die dieser Forderung natürlich nicht nachkommen wird, wird umgekehrt darauf verwiesen, dass Ungarn dazu verpflichtet sei, im Rahmen des Relocation-Abkommens Geflüchtete aufzunehmen. Die Forderung fügt sich dennoch schlüssig in Orbans Inszenierung als „starker Mann“ - und der Rolle Ungarns als „Verteidiger Europas“-, der so darauf verweisen kann, dass die EU nicht bereit sei, sich an den Kosten zu beteiligen. Orbans Linie wird auch durch österreichische Politiker_innen wie Sebastian Kurz und Norbert Hofer legitimiert.

Die im Herbst 2015 für kurze Zeit in Österreich aufkeimende und heute fast nur noch im negativen Kontext so genannte „Willkommenskultur“, hatte viel mit dem breiteren Bewusstsein über untragbare Zustände im Umgang mit Geflüchteten in Ungarn, die an den Grenzen festsaßen, zu tun. Der ehemalige Kanzler Werner Faymann sorgte für diplomatische Verstimmung, als er die Praxis der ungarischen Grenzbeamten, Geflüchtete in Zügen mit für sie ungewissem Ziel abzutransportieren, in eine Nähe mit Deportationen im Nationalsozialismus rückte - kurz bevor er selbst einen dramatischen Schwenk in der Flüchtlingspolitik hinlegte und das berühmte „Türl mit Seitenteilen“ ins Spiel brachte. Diese Kritik am ungarischen Grenzregime von Viktor Orban und die Solidarität mit den Geflüchteten sind heute deutlich leiser geworden, aber aktueller und notwendiger denn je.

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Weitere Informationen zur Solidaritätskampagne Free the Röszke 11: http://freetheroszke11.weebly.com


online seit 14.11.2018 15:06:45 (Printausgabe 80)
autorIn und feedback : Bernadette Schönangerer




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