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  Patriarchale Herrschaft

Feministische Kritik und Frauen*Volksbegehren



I realized quickly when I knew I should,
That the world was made up
of this brotherhood of man,
For whatever that means
—4 Non Blondes, What’s Up?


Das Patriarchat hat keine biologische, sondern eine politische Essenz. Nicht „die Männer “ sind das Patriarchat, sondern „jene Gruppe von Männern und Frauen, die […] am männ - lichen Geschlechtsvorzug ungebrochen festhalten und die gleichrangige Beteiligung von Frauen auf allen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens mit Repressions- und Verhinderungsstrategien zu unterbinden wissen“ (Hofmeister 1994). Diese Gruppe beherrscht die Arbeits- und Wirtschaftsorganisation, das Familienleben, die biologische Reproduktion und Sexualität, staatliche Institutionen und Regelungen der Geschlechterbeziehungen.

Bei patriarchaler Herrschaft handelt es sich um „Tyrannei“ in Form von Gewalt, sexueller Belästigung, materieller Abhängigkeit und sexueller Unterwerfung, die als Freiheit kulturindustriell inszeniert, erotisiert und verkauft wird. Diese Herrschaft bestimmt Lebensverhältnisse von Frauen*, Trans- und Interpersonen, Kindern und Jugendlichen und anderen als feminin oder „anders“ markierten Personen oder Gruppen in unterschiedlich spürbaren Graden der Dominanz. Es schadet jedoch auch scheinbar „angepassten“ Männern*, die durchschnittlich die größten Bildungsverlierer und die größte Gesundheitsrisikogruppe sind, am häufigsten Gewalt- und Suchtprobleme haben sowie immer häufiger an zwischenmenschlichen Beziehungen und Familiengründungen scheitern. Die sogenannte „patriarchale Dividende“ (Connell 1999), die allen jenen Männern* in Aussicht gestellt wird, die sich unabhängig von dem hegemonialen Männlichkeitsmodell bilden, sich aber loyal gegenüber einer (imaginierten) männlichen Interessensgemeinschaft verhalten, scheint für immer mehr Männer* auszubleiben. Das Patriarchat hat mittlerweile auch ein „Männerproblem“.

Patriarchatskritik als Ideologie- und Identitätskritik

Das Patriarchat manifestiert sich nicht immer in einem äußerlichen Herrschaftszustand, bei dem es „einem Individuum oder einer gesellschaftlichen Gruppe gelingt, ein Feld von Machtbeziehungen zu blockieren, sie unbeweglich und starr zu machen und jede Umkehrung der Bewegung zu verhindern“ (Foucault 2005). Es besteht nicht aus (leicht) identifizierbaren Einzelpersonen, hat kein geographisches Zentrum oder eine stabile Organisationsform und lässt sich nicht per Übereinkunft oder Gesetz entmachten. Es bedeutet mehr als „Männerbund“. Es ist unser Gesellschaftssystem, historisch bedingt, und nicht zuletzt tief in den Subjekten selbst verankert. Insofern hat feministische Patriarchatskritik keine biologische Schlagseite, sondern ist Ideologie- und Identitätskritik. Hinterfragt werden Annahmen körperlicher und geistiger Überlegenheit von Männern*, die Überhöhung idealtypischer Männlichkeit und damit verbundene Macht- und Herrschaftsansprüche. Kritik an Männern* als Einzelpersonen und auch Hass auf Männer* als Gendergruppe können gerechtfertigt sein; sie sind jedoch keine gelungene Kritik am Patriarchat, da sie dessen institutionelle und strukturelle Dimension unbenannt lassen. Und selbst Diagnosen einer „Krise der Männlichkeit“ dürfen nicht als „Krise des Patriarchats“ interpretiert werden, sondern als Partialerneuerung von Herrschaftsverhältnissen. Patriarchat und Kapital erbringen schließlich laufend Anpassungsleistungen, an sich wandelnde gesellschaftliche Verhältnisse, kulturelle Trends und Identitäten, um hegemonial zu bleiben.

Politökonomisches Geschlechterregime

Aus feministisch-politökonomischer Perspektive ist an dieser Stelle zu betonen, dass die Spaltung von Arbeit und Kapital nicht nur entlang von Klassengrenzen, sondern quer dazu auch entlang von Geschlechtergrenzen verläuft. So argumentiert Catharine A. MacKinnon, dass nicht nur die soziale Organisation von Arbeit die Gesellschaft in Klassen, sondern auch die Organisation von Sexualität die Gesellschaft in zwei Geschlechter teile. Organisierte Enteignung für den Nutzen von Männern* – die Erotisierung männlicher Dominanz – sei bestimmend für sexuelle Begehrens- und Beziehungsstrukturen. Für Männer* bedeute dies sexuellen Zugang zu Frauen* qua Geschlechtsvorzug. Für Frauen* bedeute dies sexuelle Verfügbarkeit für Männer* qua Geschlechtsdiskriminierung. „Sexualität“ bedeute für den Feminismus, was „Arbeit“ für den Mar xismus bedeutet: „that which is most one’s own, yet most taken away“ (MacKinnon 1989). Die lokale wie globale Kontrolle über Frauen*körper, Frauen*arbeit – innerhalb und außerhalb der Familie – und die als weiblich konnotierte Natur und ihre Ressourcen ist fundamental für das patriarchale Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Die unsichtbare und unbezahlte Arbeit von Frauen* in Haushalten (Kochen, Putzen, Kindererziehung, Betreuung von Pflegebedürftigen), in der Subsistenzproduktion und anderen informellen Wirtschaftsfeldern schafft die – von Krisen und Konjunkturschwankungen unabhängigen – Produktions- und Reproduktionsbedingungen, die konstitutiv für Erwerbsarbeit und das kapitalistische Akkumulationsmodell überhaupt sind. In Österreich erbringen Frauen* zwei Drittel aller unbezahlten Arbeitsstunden (Statistik Austria 2009). Sie sind „Grundstock und Schlußstein aller weiteren Ausbeutungsverhältnisse“ (Werlhof et al. 1983).

Die zunehmende Integration von Frauen* in den Arbeitsmarkt, die entweder über atypische, oft niedrigentlohnte Arbeitsverhältnisse oder Zuverdienst-Arrangements stattfindet, bestätigt und modernisiert die grundsätzliche geschlechtliche Spaltung von Arbeit, unterwirft jedoch auch Frauen* – formal gleichberechtigt – universell gewordenen Wettbewerbsprinzipien und Selbstoptimierungsgeboten. Die Hierarchisierung und geschlechtsspezifische Segregation ökonomischer Sphären verläuft von den globalen Finanzmärkten über öffentliche Dienstleistungssektoren bis hin zu informellen Versorgungsökonomien. So kann von einem männlich dominierten Kernarbeitsmarkt und einem weiblich marginalisierten Arbeitsmarkt – einem „mommy track“ – gesprochen werden. In letzterem sind atypische Arbeitsverhältnisse, geringfügige, teilzeitbasierte und befristete Beschäftigungen, legalisierte Scheinselbstständigkeiten (wie das Gewerbe der 24-Stunden- Personenbetreuung), eine hohe Fluktuation, Arbeitsplatzunsicherheit, schlechte Bezahlung und keine oder geringe Karriereaussichten die Norm. Der herrschenden Lehre folgend, findet durch diese, der patriarchalen Tradition nach Frauen* zugewiesenen Tätigkeiten jedoch keine volkswirtschaftlich relevante Produktion oder Wertschöpfung statt: „Nur wo Kapital ist, ist Ökonomie“ (Michalitsch 2018). Kapital entsteht, verteilt und konzentriert sich jedoch nicht nur aufgrund von ungleichen Erwerbseinkommenschancen ungleich, sondern auch aufgrund von patrilinearer Vererbung und patriarchaler Produktion und Allokation von Gütern. Selbst unternehmerisch tätige Frauen* verfügen – mehrheitlich als Kleinstunternehmer*innen (in Österreich sind 60 Prozent aller Unternehmen sogenannte Ein-Personen-Unternehmen, etwas über die Hälfte davon befindet sich in weiblicher Hand; WKO 2018) – über nahezu kein Kapital, weswegen sie kein oder kaum nennenswertes Vermögen bilden können. Unternehmertum ist zudem nicht nur männlich, sondern auch kriegerisch konnotiert, der Unternehmer ist ein „Führer“, der zerstören und siegen will und keine Traditionen oder soziale Verpflichtungen kennt.

Gesellschaftliche Trends und feministischer Widerstand

Patriarchale Herrschaft sowohl in intimen und informellen als auch in institutionellen und öffentlichen Sphären zu benennen und zu bekämpfen, ist für feministische Analysen und Interventionen nach wie vor wesentlich. Angesichts der rechtskonservativen bis -radikalen Wende des Neoliberalismus, die sich gegenwärtig in vielen westlichen Demokratien beobachten lässt, ist nicht nur eine Retraditionalisierung der Geschlechterverhältnisse zu erwarten, sondern auch eine – maskulinistische – Transformation des Rechtsstaates in einen nationalen Wirtschaftsstandort, an dem Sicherheit nicht mehr sozial, sondern im Dienste von Kapitalverwertung und als polizeilich-militärische Herausforderung begriffen wird. Im Zuge dessen ist zu erwarten, dass öffentliche Angebote und Einrichtungen im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen, der Kinderbetreuung, der Pflege und Altersversorgung gekürzt, eingestellt und/ oder vermarktlicht werden und sich die „Krise der sozialen Reproduktion“ (Fraser 2016) zuspitzt. Da diese versorgungsökonomischen Leistungen allerdings gesellschaftlich notwendig sind und erbracht werden müssen, wird sich der Druck auf Frauen* erhöhen, diese entweder unbezahlt zu erbringen oder – wenn es sich ein Haushalt nicht leisten kann, auf das Einkommen der Frau* ganz oder teilweise zu verzichten – auf Migrantinnen* abzuwälzen. „Sorgelücken“ werden so allerdings nicht geschlossen, sondern – neokolonial – auf Menschen des globalen Südens verlagert. Gegen diese Entwicklungen sind möglichst breite Allianzen all derjenigen anzustreben, die unter dem Patriarchat leiden. Dafür braucht es Wissens- und Erfahrungsaustausch, um die kollektive und strukturelle Dimension patriarchaler Unterdrückung und Spaltung in ihren offensichtlichen, aber auch kaum noch spürbaren Erscheinungsformen deutlich zu machen. Es gilt, ein kritisches Verhältnis zu den (eigenen) Männlichkeiten und Weiblichkeiten aufzubauen, „Identitäten infrage zu stellen […] und Lebensverhältnisse zu repolitisieren“ (Michalitsch 2018).

Frauen*Volksbegehren

Das österreichische Frauen*Volksbegehren ist ein Versuch einer solchen gesellschafts-, ideologie- und identitätskritischen Allianzbildung innerhalb der liberalen Demokratie und ihrer Institutionen. Um Frauen*rechte – und damit Menschenrechte – zu schützen und damit patriarchale Herrschaft abzubauen, bedarf es einer Vielzahl von Maßnahmen, wobei ein Wandel im Tatsächlichen einen Wandel im Normativen voraussetzt.

Die Forderungen des Frauen*Volksbegehrens nach einer Geschlechterquote für Privatwirtschaft, Interessenvertretungen und politischen Gremien, einer Arbeitszeitverkürzung, Gehaltstransparenz und gleichem Entgelt bei gleichwertiger Arbeit, Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbruch „auf Krankenschein“, besserer Gewaltprävention und wirksamerem Gewaltschutz sowie der ausdrücklichen gesetzlichen Verankerung von frauen*- und geschlechtsspezifischen Fluchtgründen wollen keine „Angleichung“ an prototypisch-männliche Lebenskonzepte erreichen, sondern sollen dazu beitragen, dass die Rechte von Frauen* und allen anderen ernst genommen und unterschiedliche Erfahrungen und Lebensrealitäten als gleichwertig anerkannt werden. Mit dem Ziel, dass alle gleiche Möglichkeiten haben, gleich behandelt werden und sich deswegen alle auch so unterschiedlich entwickeln können wie sie wollen.


Quellen:

Connell, Raewyn. Der gemachte Mann: Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Leske + Budrich, Opladen, 1999

Foucault, Michel. Dits et Ecrits. Schriften IV (1980–1988). Suhrkamp, Frankfurt am Main, 2005

Fraser, Nancy. Contradictions of Capital and Care, in: New Left Review, 2016

Hofmeister, Lilian. Analyse und Perspektiven, in: Frauen und Recht, 1994

MacKinnon, Catharine A. Toward a Feminist Theory of the State, 1989

Michalitsch, Gabriele. 2018. Die Herrschaft der weißen Männer: Feministische Überlebenskämpfe im Kapitalismus der Gegenwart.

Statistik Austria. 2009. Zeitverwendungserhebung 2008/2009

Werlhof, Claudia v., Mies, Maria, Bennholdt- Thomsen, Veronika. Einleitung, in: Dies., Frauen, die letzte Kolonie (Die Zukunft der Arbeit, Band 4). Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1983

WKO. Einpersonenunternehmen: Fact Sheet EPU 2018




» zum Schwerpunkt Männerbilder



online seit 02.10.2018 12:15:57 (Printausgabe 84)
autorIn und feedback : Christian Berger




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