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Der Sammelband Play Gender gibt einen Einblick in emanzipatorische Strategien (pop-)kultureller, linker Praxis

Seitdem der Begriff Popkultur aus akademischer und aktivistischer Sicht verhandelt wird, kommt es meist schnell zu einer entscheidenden Frage: Welche spezifischen Emanzipationspotentiale und Widerstandsmöglichkeiten trägt die Popkultur in sich bzw. wo und wie unterscheidet sie sich in ihrer Beschaffenheit und Strukturierung von anderen gesellschaftlichen Feldern? Wenig überraschend und doch ernüchternd sind die Antworten: Die grundsätzlichen gesellschaftlichen Schieflagen übertragen sich selbstverständlich auch in die Popkultur; es bedarf weiterer Aufarbeitung und Interventionen.

Dem von Fiona Sara Schmidt, Torsten Nagel und Jonas Engelmann herausgegebenen Sammelband Play Gender gelingt es glänzend, an die essentiellen Fragen zur Popkultur anzuschließen und eine Bestandsaufnahme aus einer (queer-)feministischen Perspektive zu liefern. Genauer gesagt sollen die „Schnittstellen von Feminismus, Kulturarbeit und linker Praxis“ erkundet werden. Zwar werden diese drei Themenkomplexe nacheinander abgearbeitet, die gesuchten Schnittstellen springen bei der Lektüre jedoch sogleich ins Auge.

Den Auftakt zum Feminismus-Abschnitt macht die Kulturwissenschaftlerin und Journalistin Mithu M. Sanyal, deren Aussage „Sexismus ist so alltäglich wie Spam-Mails“ zweierlei festhält. Erstens ist es ein origineller Vergleich: Sexismus ist massenhaft, nervig und selbst mit dem besten Blocker nicht abzuwenden. Zweitens wird die Verbindung zu einer wichtigen aktuellen Debatte hergestellt, nämlich dem Netzfeminismus und damit der Frage, vor welchen Problemen feministisches Handeln in Zeiten des Web 2.0 steht.

Ein weiterer von Sanyal angesprochener wesentlicher Aspekt ist, dass Sexismus nicht „unilateral“ ist, d.h. dass Sexismus als Strukturphänomen zwar in erster Linie, aber nicht ausschließlich FLIT-Personen betrifft. Dementsprechend gibt es in Play Gender mehrere Beiträge zu hegemonialer Männlichkeit und zur profeministischen Männerbewegung.

Über Artikel zu Slutwalks und feministischen Journalismus nähert sich Play Gender im zweiten Abschnitt der „Kulturarbeit“ bzw. dem popkulturellen Schaffen. Gleich am Anfang des Kapitels erzählt die Autorin und Filmemacherin Sarah Diehl sehr eindrucksvoll über ihre Abwendung vom Universitätsbetrieb hin zum Do-It-Yourself-Prinzip und reflektiert ihre Arbeit im Bereich internationaler reproduktiver Rechte von Frauen, z.B. indem sie die Situation schildert, als sie als junge weiße Europäerin Filmaufnahmen in einer südafrikanischen Abtreibungsklinik machte.

Ebenfalls sehr aufschlussreich sind jene Texte, die die Geschichte und Gegenwart der Geschlechterverhältnisse in einzelnen Musikgenres analysieren. Zentral sind dabei die gerade von links so gern betrachteten Genres Hip Hop (mit Beiträgen von Tine Lesch und der Rapperin Sookee), Punk/Hardcore (geschildert vom großartigen Martin Büsser) und Techno/House (von der ehemaligen MALMOE-Redakteurin Vina Yun).

Im letzten Teil des Bandes geht es schließlich explizit um „Linke Praxis“, wobei auch die vorherigen Beiträge durchaus linke Praxis verhandelten. Der Abschnitt sammelt nun vor allem Perspektiven aus einem aktivistischen, bewegungslinken Feld. Hier tut sich Play Gender schwer, aktuelle Prozesse festzuhalten, eben weil diese gerade in den vergangen Monaten so rapide vonstatten gingen. So hat sich die vorgestellte UG DEFMA beispielsweise inzwischen aufgelöst. Und auch der Beitrag über das autonome Leipziger Kulturzentrum Conne Island wäre wohl anders ausgefallen, wenn zum Zeitpunkt des Verfassens schon jene brisante Diskussionen der letzten Wochen stattgefunden hätten. Die Betreiber_innen von Conne Island hatten offen gelegt, dass es bei Veranstaltungen vermehrt zu sexuellen Übergriffen durch Geflüchtete und Migranten kam. Daraufhin entzündete sich in der linken Subkultur (erneut) eine Kontroverse darüber, wie Antisexismus und Antirassismus zusammengehen können. Hier zeigt sich die Schwierigkeit, feministische Theorie und Praxis in allen Facetten auf einen aktuellen Stand zu verdichten und dabei auch weitere Zugänge miteinzubeziehen.

Play Gender beeindruckt abseits davon jedoch vor allem durch eine breitgefächerte Betrachtung der im Buch verfolgten Themen und Fragestellungen. Dabei ist der Sammelband keine Aneinanderreihung von Abhandlungstexten, sondern versammelt zusätzlich zahlreiche Interviews (bei denen die Fragen jedoch etwas variantenreicher ausfallen hätten können), Gesprächsrunden und kleine Manifeste. Insgesamt gelingt es so, sehr detaillierte Einblicke in die Gedankenwelt einzelner Akteur_innen und das Innenleben verschiedener Szenen und Subkulturen zu geben.

Fiona Sara Schmidt / Torsten Nagel / Jonas Engelmann (Hg.): „Play Gender. Linke Praxis – Feminismus – Kulturarbeit“, Ventil Verlag, Mainz 2016

online seit 31.05.2017 15:11:46 (Printausgabe 77)
autorIn und feedback : Jannik Eder




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