menueleiste1
home archiv suche messageboard abo hier gibts malmoe feedback alltag verdienen regieren widersprechen funktionieren tanzen erlebnispark
  ArbeiterInnenquartier ohne ArbeiterInnen

Aufwertung und Verdrängung am Gürtel und in Ottakring

Der Westgürtel und das angrenzende Ottakring erlebten im letzten Jahr ein Wechselbad der Narrative: Vom ehemaligen „Problemviertel“ zum boomenden In-Viertel hochgestriegelt, werden die Gründerzeitgrätzel entlang des Gürtels nun wieder als „Hotspots“ und „No-Go Areas“ bezeichnet. Häufig wird das Bild eines bedrohten Dorfes beschworen.

Von Segregation zu Kriminalität

Ging es in den Diskussionen der 1980er und 1990er Jahre vor allem um den baulichen Zustand und befürchtete Segregationstendenzen, lässt sich feststellen, dass die Entwicklungen, die in Verbindung mit dem Westgürtel und dem Praterstern aktuell beschrieben werden, vor allem Teil eines Diskurses über Kriminalität sind. Die Lösung für die vielschichtigen, sozialen Problemlagen sind demgemäß vor allem Investitionen in Überwachung, massive Polizeipräsenz, und ein neues Suchtmittelgesetz. Beiläufig ziert der Begriff Gentrifizierung Zeitungsartikel, mangels konkreten Datenmaterials hat er im Diskurs um die aktuellen Entwicklungen Wiens allerdings wenig Gewicht. Der tiefgreifende Wandel der Wohnbevölkerung, der sich langsam in den renditeträchtigen Grätzeln des 16. Bezirks abzeichnet, wird eher in Hinblick auf die Lebensstile seiner neuen, oft bürgerlicheren BewohnerInnen beschrieben, während die direkte Verdrängung von Menschen selten artikuliert wird.

Stadt schafft schöne Kulisse

Tatsächlich lassen sich entlang des Gürtels, wie kaum sonst wo die Entwicklungen und Änderungen, die sich ab den 1990er Jahren in der Wiener Stadtpolitik vollzogen haben, nachzeichnen. Ebenso wie die immer enger werdenden Grenzen eines sozialliberalen Akkumulationsregimes, das die Wohnversorgung ärmerer Bevölkerungsschichten und die Regulierung des Wohnmarktes immer weniger gewährleistet. Die zunehmende Tertiärisierung der Arbeitswelten geht mit einer Umfunktionierung alter Raummuster einher. Auf den Gründen ehemaliger (kleinteiliger) Industriegebiete in den Vorstädten entstehen nun Lofts. Arbeiterbezirke werden gezielt für ein bürgerliches Publikum in Szene gesetzt, wobei der Stadt zunehmend die Rolle zufällt, im Rahmen von PPPs (Public Private Partnerships) Grundstücke bereitzustellen und für eine schöne Kulisse zu sorgen. Dafür werden Gürtel-Nightwalks abgehalten, oder Popfestivals am Karlsplatz organisiert.

Billiger Wohnraum in den Vororten

Ottakring war, aufgrund seiner Nähe zu den älteren innerstädtischen Industriegebieten, konkret dem 6. und dem 7. Bezirk, ein Arbeiterbezirk. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird es immer stärker zum Auffangbecken für ProduzentInnen und ArbeiterInnen, die die hohen Mietzinse in den Innenbezirken nicht bezahlen können, sowie für neuzuwandernde ArbeiterInnen, die in Wien Fuß fassen wollen. In Ottakring können sich außerdem größere Produktionsanlagen der Nahrungsmittelindustrie ansiedeln, beispielsweise die Ottakringer Brauerei und die Tabakfabrik Ottakring. Der Wohnungsmarkt ist dabei vor allem durch nahezu unregulierte, sehr kurz befristete Mietverträge geprägt. Durch das hohe Maß an Kleinstwohnungen bleiben auch die Gründerzeithäuser in den Arbeiterbezirken sehr profitabel. Trotz der späteren Regulierungen des Mietzinses durch das MRG (Mietrechtsgesetz) bleibt die Funktion der privaten Gründerzeitbestände, Wohnraum für finanziell schlechter gestellte Gruppen bereitzustellen, bis in die 1990er Jahre aufrecht. Profitabilität wurde dabei auch durch starkes Disinvestment in die Bausubstanz erreicht. Für die ab den Anwerbeabkommen 1964 und 1966 nach Österreich kommenden Arbeitskräfte bleibt der private Wohnungsmarkt darüber hinaus die einzige Möglichkeit der Wohnversorgung, da der kommunale Wohnbau bis in die 2000er Jahre ÖsterreicherInnen vorbehalten ist. Räumlich manifestiert sich dies vor allem in Teilen des zweiten Bezirks und den Wohngegenden entlang des Gürtels.

Scheitern der Sanften Stadterneuerung

Dem baulichen Verfall der Gründerzeitbestände, und dem Wegzug von finanziell stärkeren Bevölkerungsgruppen an den Stadtrand und den damit einhergehenden Segregationstendenzen versucht die Stadt Wien die Sanfte Stadterneuerung, die mit dem Stadtentwicklungsplan 1984 zur Leitmaxime erhoben wird, entgegenzustellen. Ziel der Stadt ist es, durch Förderungen eine bauliche Aufwertung in den Gründerzeitbeständen zu erreichen und mögliche soziale Auswirkungen der gestiegenen Renditemöglichkeiten abzufedern. Gerhard Hatz kommt in einer Analyse der Sockelsanierungen im Rahmen der Sanften Stadterneuerung zu dem Ergebnis, dass Altmieter zwar mittelfristig gehalten wurden, durch die bauliche Aufwertung aber der Nachzug soziale schwächerer Schichten verhindert würde (vgl.: Hatz 2011). In einer Analyse der Aufwertungsprozesse im Brunnenviertel konstatiert Jakob Weingartner für den Westgürtel ebenfalls ein Scheitern der Sanften Stadterneuerung. Die Aufwertung außerhalb des Gürtels ab den späten 1990er Jahren wird vor allem von privaten Investoren betrieben (vgl. Weingartner 2007).

Nach dem EU-Beitritt Österreichs wird der Gürtel Zielgebiet der europäischen Regionalpolitik. Im Rahmen von URBAN wird von der Stadt erneut ein Versuch unternommen, den Westgürtel aufzuwerten. Vor allem die Stadtbahnbögen werden kulturell bespielt. Die starke Präsenz kultureller Initiativen wird auch von privaten Investoren genutzt um eigene Projekte publikumswirksam in Szene zu setzen. Der Immobilienkonzern Conwert nutzt zum Beispiel eine künstlerische Zwischennutzung um seine Wohnungen im ehemaligen Kaufhaus Osei in der Brunnengasse gut zu vermarkten. Der Brunnenmarkt wird im Rahmen eines Partizipationsverfahrens ebenfalls neugestaltet. Die zugezogenen UnternehmerInnen am Yppenmarkt richten sich längst an ein bürgerliches Publikum, während der von öffentlicher Hand aufgewertete Raum immer mehr den privaten Gastgärten weichen muss, wie zuletzt das Marktamt einem Restaurant der Ottakringer Brauerei. Es bleibt zu erwarten, dass mit der Verlängerung der U-Bahnlinie U5 ins benachbarte Hernals der Druck auf die verbliebenen MieterInnen weiter steigen wird.


Literatur:

Gerhard Hatz: „Die Festivalisierung der Stadt. Das Beispiel Wien“. In: Matznetter, W., Musil, R. (Hg.): Europa: Metropolen im Wandel. Mandelbaum Verlag. Wien 2011

Jakob Weingartner: „Sanfte Gentrifizierung – Sozialräumliche Restrukturierung als Brennpunkt urbaner Reterritorialisierung im Wiener Brunnenviertel.“ Universität Wien. Wien 2007








online seit 16.06.2016 08:46:44 (Printausgabe 75)
autorIn und feedback : Ferdinand Redl




Wie vorher!

aus dem Diskursiv: Vom Leben mit Kindern
[05.10.2018,Monika Vykoukal]


Neiiiihhin!

aus dem Diskursiv:
Vom Leben mit Kindern [05.10.2018,Patrick Ward]


Er hat die Melone so gern

aus dem Diskursiv:
Vom Leben mit Kindern [05.10.2018,Benjamin Herr]


die nächsten 3 Einträge ...
 
menueleiste2
impressum kontakt about malmoe newsletter links mediadaten