Frage an Radio Eriwan

REDEBEITRAG DER FILMEMACHERIN UND PUBLIZISTIN HITO STEYERL ANLÄSSLICH DER PODIUMSDISKUSSION "ALTERNATIVEN ZUR EINHEITSZEITUNG".

Zunächst möchte ich eine enthusiastische These vertreten und die heisst: Im Prinzip ja.

Die Frage dazu heisst: Brauchen wir ein linkes Medium? Natürlich ja. Was denn sonst. Die Begründung ist ebenfalls ganz einfach: es gibt nämlich in Österreich keins, das heisst, es gibt keine objektive Information und weil es keine Information gibt, herrscht falsches Bewusstsein und weil dieses offensichtlich nicht nur herrscht, sondern auch regiert, wird das linke Medium gebraucht und muss her. Also: Im Prinzip: ja.

Weil ich allerdings noch ca. 9min weitersprechen muss, werde ich jetzt ein bisschen Theorie zu Rate ziehen müssen, nämlich die Radio Eriwan Witze, die zu den glorreichsten Beispielen linker Medienkritik gehören. Zum Beispiel dieses Theorem, das den dialektischen Charakter linker Medialität deutlich zum Ausdruck bringt: Ruft jemand bei Radio Eriwan an und sagt: "Ist es wahr, das der Kosmonaut Juri Gagarin eine Reise in die USA gewonnen hat?"
Antwort: "Im Prinzip ja, aber es war nicht der Kosmonaut Juri Gagarin, sondern ein Rentner, und er hieß nicht Juri, sondern Oleg, und auch nicht
Gagarin, sondern Gaganoff und es war nicht in die USA sondern nach Kiew und er hat keine Reise gewonnen, sondern ein Fahrrad und er hat es auch nicht gewonnen, sondern es wurde ihm gestohlen!"
So ähnlich ist es leider auch mit meiner Antwort auf die Frage, ob jemand ein linkes Medium braucht.
Man könnte den Radio Eriwan Witz nämlich so adaptieren: Ein Hörer ruft bei Radio Eriwan an und fragt: Ist es wahr, dass wir dringend ein Medium für die Linken brauchen, um damit Informationen zu verbreiten und damit die Massen zu bekehren, die Regierung zu stürzen und die Lage zu verbessern _ und dass ausgerechnet Sie, nämlich Radio Eriwan dieses neue linke Medium sind?

Radio Eriwan antwortet: Im Prinzip ja. Die Sache ist nur die, dass wir nicht neu sind, sondern alt. Außerdem müssen wir die Massen gar nicht mehr bekehren, sondern haben sie im Gegenteil schon so stark und ausdauernd bekehrt, dass es mittlerweile keine Linken mehr gibt. Außerdem sind wir gar kein Medium, sondern nur ein fieser antikommunistischer Witz. Allerdings ist uns die Verbesserung der Welt durch die Medien mittlerweile in anderen Bereichen gelungen, nämlich in der Umstellung der Lebensmittelversorgung – wir organisieren die Bestellung von Lebensmitteln jetzt über das Internet – und die Lieferung erfolgt mittlerweile auch schon über das Internet. Genauso ist es jetzt mit der Revolution: wir können stolz vermelden, dass zwar nicht die Welt kommunistisch geworden ist, aber dafür die Witze. Witze können mittlerweile nur noch über Kommunisten gerissen werden. Das können sich die Massen noch leisten _ Witze über Mitglieder anderer Parteien sind nämlich mittlerweile zu teuer geworden. Soweit die Auskunft von Radio Eriwan.
Wir müssen also eine ernüchternde Schlussfolgerung ziehen, was die Ausgangsfragestellung betrifft. Im Prinzip gibt es nämlich unzählige alternative Medien, sowie Unmengen von Gegeninformationen. Es nützt bloß nichts, weil deren Botschaften zwar offensichtlich schon lange gesendet werden _ sich allerdings als ähnlich effektiv erweisen wie die Lebensmittellieferungen von Radio Eriwan. Diese simple sogenannte Megaphontheorie, von Sender und Empfänger, die etwa mit Enzensberger besagt, dass es reicht wenn die Linke die Sendezentralen der Massenmedien übernimmt, um die Massen zu manipulieren, hat sich nicht nur im Prinzip als Radio-Eriwanmodell herausgestellt. Das Problem ist nicht, dass es kein linkes Medium gibt, sondern, wie Radio Eriwan schon richtig festgestellt hat, dass es keine oder kaum noch Linke gibt, welche noch Lust haben, die völlig verstreuten und verstörten alternativen sektiererischen Mini-Medien zur Kenntnis zu nehmen. Radio Eriwan hat also das höchste kommunistische Ideal realisiert und hat sich nach dem Ende der Geschichte, dem Sieg des Pluralismus und Pressefreiheit mitsamt aller Klassenkämpfe und Linken selbst überflüssig gemacht.

Hier aber fängt die Dialektik erst richtig an. Denn jetzt behaupte ich, dass alles, was ich bis jetzt gesagt habe im Prinzip richtig ist. Also: es gibt ausreichend linke Medien, Meinungsfreiheit, Pluralismus und Pressefreiheit haben den Endsieg errungen, das Problem ist bloß: es gibt keine Linke mehr. Daher ist die Frage danach, was diese für ein Medium brauchen könnte völlig widersinnig und widerspricht dem objektiven Verlauf der Weltgeschichte.

Jetzt muss ich natürlich gleich bei Radio Eriwan anrufen, um mir meine Einschätzung von den Koryphäen linker Medienkunde gewissermassen bestätigen zu lassen. Aber jetzt bekomme ich folgende Antwort: Im Prinzip hat die Genossin völlig recht. In Österreich herrscht natürlich die pluralistische Pressefreiheit und es gibt sogar linke oder alternative Medien _ aber Erzeugnisse die nicht dem Mediaprint/Formil-Verbund angehören, werden nicht vertrieben, bzw. können sich den Postversand nicht leisten. Das ist so ähnlich wie im herrlichen Mutterland der Medienfreiheit Russland, wo das pluralistische Medienmonopol des Ministeriums für Massenmedien neuerdings von einer Firma mit dem Namen American Capital vertreten wird.
Genauso wie dort herrscht bei uns die absolute Freiheit der Meinungsäußerung: im Prinzip dürfen bei uns auch Parteimitglieder z.B. wegen Einschränkungen der Pressefreiheit kritisiert werden. Das gilt sogar wenn sie Haider heißen. Es ist jedoch billiger, sie stattdessen lieber Putin zu nennen.

Auch der Datenschutz ist in Österreich im Prinzip völlig gewahrt, wie folgende frühere Anfrage beweist: "Ich las in der Prawda, dass ein gewisser Iwan Kleindienst wegen Beleidigung zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt wurde, weil er ein Parteimitglied einen Spitzel genannt hatte. Ist die Strafe nicht etwas sehr hoch ausgefallen?" Antwort: "Im Prinzip nein. Wegen der Beleidigung erhielt er nur sechs Monate, die restliche Strafe erhielt er wegen Verrats eines Staatsgeheimnisses."
Und jetzt zum letzten Punkt der Analyse der Genossin: Es ist ebenfalls im Prinzip richtig, dass es nach dem weltweiten Sieg von Demokratie, Pluralismus, Meinungsfreiheit, und Freiheit der Medien naturgemäss keine Linke mehr geben kann, da diese überflüssig, zerstreut und verstört ist. Daher kann diese auch gar kein Medium mehr brauchen und die Frage hat sich erledigt. All das ist im Prinzip natürlich vollkommen richtig. Aber was machen dann eigentlich diese ganzen Leute hier?